Purim oder: „Bis man nicht mehr weiß“

„Das Glück liegt im Vergessen“ lautete der Wahlspruch des römisch-deutschen Kaisers Friedrich III. Zum geflügelten Wort geworden ist die Variante: „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist!“ aus der Johann Strauß-Operette „Die Fledermaus“. Genauer, aus dem Trinklied im ersten Akt.

Gedanken für den Tag 11.3.2019 zum Nachhören (bis 10.3.2020):

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Illuminierende Rätselworte zum finsteren Widerspruch: Glück und Erinnerung. Purim heißt das jüdische Fest der Freude, der Masken, der Festmahle, der Wohltätigkeit. Purim bedeutet frei übersetzt „Losentscheid“. Das Los wird über eine Entscheidung geworfen, bei der jedes andere Urteilsverfahren ungerecht erscheint. Ein anderer Name für Purim ist: Ad delo joda /bis man nicht mehr weiß. Da der Kodex des jüdischen Gesetzes, der Schulchan Aruch, der Gedeckte Tisch rät, an Purim so lange Wein zu trinken, bis man gar nicht mehr weiß, ob Mordechai zu segnen oder zu verfluchen, oder ob Haman eigentlich zu verdammen oder zu preisen sei.

David Weiss
ist Schriftsteller

Trinken bis zum Jenseits von Gut und Böse

Mordechai und Haman, das sind Gestalten aus dem biblischen Buch Ester: Guter und Böser, Opfer und Täter. Ausgerechnet Purim, das Glücksfest, ist Anlass der Erinnerung. Es soll erinnern, wie Haman, der höchste Regierungsbeamte des persischen Königs, das gesamte jüdische Volk im Großreich an einem Tag ermorden lassen wollte, wie Königin Ester diesen Mord vereitelte, und Mordechai das Schicksal wendete.

Die Ähnlichkeiten der fröhlichen Purim-Gebräuche mit dem christlichen Karneval oder Fasching sind kein Zufall, beide Feste finden fast genau zur selben Zeit statt. Also Trinken bis zum Jenseits von Gut und Böse? Klingt einladend. Aber so einfach ist das nicht. Im Karneval folgt dem Faschingsdienstag der Aschermittwoch. Jedem Rausch folgt die Ausnüchterung. Und wo die einen gerne ein und für allemal tabula rasa machen würden, decken andere den Tisch.

Musik:

Wiener Opernball Orchester unter der Leitung von Uwe Theimer: „Glücklich ist, wer vergißt op. 368, Polka mazur“ aus: DIE FLEDERMAUS / Auszüge von Johann Strauß
Label: Denon CO 77949