Aphrodites Insel - Gedichte aus Zypern

Die Göttin der Liebe, Aphrodite, entstieg dem Mythos nach auf Zypern der schäumenden Brandung und Homer, Urvater aller europäischen Poeten, soll angeblich dort geboren worden sein.

Gedanken für den Tag 18.3.2019 zum Nachhören (bis 17.3.2020):

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65 Kilometer von der kleinasiatischen Küste entfernt, ist Zypern geprägt durch die Kulturen wechselnder Besatzungsmächte aus Orient und Okzident, am Schnittpunkt zwischen christlich geprägter und islamischer Welt. Verschiedene Sprachen, Religionen und Mentalitäten haben hier immer schon koexistiert. Multikulturell und polyglott ist auch die Prägung der armenisch-zyprischen Autorin und Lyrikerin Nora Nadjarian, die ihre Gedichte vorwiegend in englischer und armenischer, zum geringeren Teil auch in griechischer Sprache schreibt.

Fenster

Sie zogen in das Haus
und weil es nicht so leer sein sollte,
öffneten sie ein Fenster, um alles hereinzulassen -
Licht, Geräusche, Geplapper aus ihrer Heimat,
die See und ihr Silber, weiße Vögel
mit bronzenen Augen, Gesichter von Blumen,
die hier nicht wachsen - hier nicht leben - könnten,
die Vergangenheitsform einer anderen Sprache.
Früher, später ließ sie der Einbruch der Nacht Wärme blasen
in ihre Hände und fest verschließen das Fenster
und sich daran erinnern, dass sie angekommen waren -
Dass ihr anderes Leben
nun wartete wie ein treuer Hund
hinter der Glasscheibe dort, kratzend,
schnuppernd den bläulichen Geruch der Einsamkeit.
(Aus dem Englischen von Christa Schuenke)

Nora Nadjarians Lyrik kreist meist um Episoden des Alltags, die in ihrer atmosphärischen Verdichtung die Wirklichkeit übersteigen und auf symbolische Innenwelten verweisen. Und sie schöpft aus den Tiefen der griechischen Mythologie, hier auf Zypern, auf dieser Insel der Aphrodite:

Aphrodite erhebt sich

Im Publikum
die Augen der staunenden Muscheln.
Mein Leib ist Wasser
voluminös, nicht gebräunt von der Sonne.
Mein Leib ist Licht
begehrt, betörend, rätselhaft.
Mein Leib ist Sand
der aufwärts rinnt durchs Stundenglas
der mich erfüllt, mich drängt in klare, helle Luft
der mich badet in Durchsichtigkeit
mich wallend ausströmt zur Vollkommenheit
mich wie ein Bildhauer zur Freiheit formt.
Ich werde Göttin.
Ich erhebe mich.
(Aus dem Englischen von Christa Schuenke)

Buchhinweis:

„Zypern literarisch“, herausgegeben von der Botschaft der Republik Zypern in Berlin

Musik:

Ensemble PAN - Project Ars Nova: „Contre dolour - Rondeau für Tenor und Harfe"
Label: New Albin Records NA 038 CD