Potlatsch

Beim Volk der Kwakiutl im Westen der USA gibt es eine Sitte, die die Gabe und das Geschenk im Zentrum hat. Sie heißt Potlatsch.

Gedanken für den Tag 2.4.2019 zum Nachhören (bis 1.4.2020):

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Wenn jemand einen Potlatsch ausrichtet, dann zieht er zum Haus des Beschenkten und dort opfert er, soviel er kann, Gegenstände, Reichtümer, Lebensmittel. Es ist eine Art Vertrauensopfer. Denn der Beschenkte ist nun verpflichtet, dem, der ihn beschenkte, ähnlich großzügig zu beschenken, wie er selbst beschenkt worden ist.

Oliver Tanzer
ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor

Wer gibt, den gibt es auch

Das ist nicht so platt gemeint wie bei uns, dass man etwa im Supermarkt Ware bekommt und dafür Geld schuldet. Nein, bei den Kwakiutl schuldet der Geber sich selbst. Indem beide Tauschpartner jeweils geliebte Gegenstände des anderen besitzen, ist eine intensive Beziehung hergestellt. Der eine ehrt den anderen. Selbst die Macht der Vorfahren des einen wohnt in den Geschenken und schützt nun auch den anderen.

Nun stellen Sie sich vor, Sie schenken heute jemandem etwas Gebrauchtes. Wie scheel man sie da gleich ansehen würde. Der Beschenkte würde das Geschenk quasi mit spitzen Fingern ergreifen, weil „gebraucht“ ja auch den Beigeschmack von „unsauber“ hat. Bei den Kwakiutl hingegen wäre etwas Neues eine regelrechte Beleidigung. Sie brauchen nicht die Verpackung, sondern die Beziehung zum Geber. Mit anderen Worten: den Geist des anderen in der Gabe. Und je mehr dessen Geist mit dieser Gabe verbunden ist, desto größer ist die Macht darin.

Den Kwakiutl wäre der scheinbar wertlose Stein, den jemand jahrelang mit sich getragen hat, viel lieber, als jede teure Ware, die jemand ihnen via Amazon übersendet, ohne sie je berührt zu haben. Und weil Ostern kommt, kann man sich ja überlegen, welche Idee vom Schenken österlicher ist: a la Amazon oder a la Potlatsch. Für die Kwakiutl jedenfalls wäre die Antwort leicht: Nur wer von sich selbst gibt, gibt wirklich. Und nur wer gibt, den gibt es auch. Der Rest sind untote Geister.

Musik:

Shari Belafonte: „Give a little love“ von Albert Hammond und Diane Warren
Label: Metronome 8416082