Sklavengabe

Das Neue Testament ist ein wahrhaft revolutionärer Text, wenn man ihn nicht nur so vor sich herbetet, weil irgendjemand einem beigebracht hat, es her- und nachzubeten.

Gedanken für den Tag 3.4.2019 zum Nachhören (bis 2.4.2020):

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Man sollte ihn einmal gleichsam entheiligt lesen und sich nur auf jene Bedeutung konzentrieren, die das alles heute haben könnte. Man würde bald sehen: Die Welt würde sich umdrehen quasi. Und zwar schon durch die kleinsten Taten, etwa Gaben.

So wird uns ja von früh an gelehrt, wir könnten stolz sein, wenn wir gut sind und Gutes tun. Es gibt sogar eine alte Wirtschaftskapitänsweisheit, die da sagt: „Tue Gutes und rede darüber.“ Aber das scheint dieser Jesus von Nazareth verwirrenderweise gar nicht zu wollen. Er sagt: „Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“

Oliver Tanzer
ist Wirtschaftsjournalist und Buchautor

Geben und Nehmen mit Freude

Derjenige, der anderen gibt und Gutes tut, soll sich, so scheint es, danach nicht besser fühlen. Er soll sich nicht erhöhen und sich nicht einmal inwändig lobend tätscheln, im Sinn, jetzt kann ich aber stolz auf mich sein, denn ich habe gut gehandelt. Und tatsächlich ist diese Forderung unerhört, weshalb sie auch unerhört geblieben ist.

Wenn dieser Auftrag ernst genommen würde, müssten die gesellschaftlichen Wertungen aufgegeben werden, die den Wohltäter über den Beschenkten stellen und die Zivilisation in Reich und Arm, Wertvoll und Minderwertig teilen und letztlich in Gut und Böse.

Es wäre nicht mehr das wichtig, was man gibt und nicht einmal wichtig, wer gibt. Auch das Geschenk selbst, als Gegenstand und Materie, würde in den Hintergrund treten vor dem Akt der Gabe als Normalität. Und diese Normalität hieße bloß: Sich in Beziehung setzen mit jemandem, ohne zu werten. Man könnte geben und nehmen mit Freude und ohne schlechtes oder gutes Gewissen, ohne Erwartungen. Die Gabe wäre nicht mehr der Rede wert, schon gar nicht im Radio, in der Früh, kurz vor sieben.

Musik:

London Sinfonietta unter der Leitung von Simon Rattle: „After you’ve gone“ von John Turner Layton und Henry Creamer
Label: EMI 7479912