Bibelessay zu Johannes 18, 28 - 19, 5

„Sehet, welch ein Mensch! Ecce Homo!“ So präsentierte Pilatus den gefolterten, gegeißelten und verspotteten Jesus vor dem Volk. Den Spottkönig mit der Dornenkrone und dem roten Mantel um die blutenden Schultern gelegt.

Das Urteil über ihn war im Grunde genommen schon vorher gefällt. Die Geißelung, die Pilatus befahl, weist darauf hin. Wer gegeißelt wurde, war damit in den meisten Fällen zugleich auch dem Tod geweiht. Nicht selten führte die verberatio, wie diese äußerst grausame Misshandlung im Lateinischen bezeichnet wird, schon selbst zum Tod der gequälten Menschen. Zahlreiche Berichte erzählen, dass auf eine solche Geißelung unmittelbar die Hinrichtung durch die Kreuzigung folgte.

Michael Bünker
ist evangelisch-lutherischer Bischof in Österreich

Verhängnisvolle Folgen durch Passionsgeschichten

Sehet, welch ein Mensch! Im Griechischen steht wörtlich: „Siehe, der Mensch!“ Die Übersetzungen unterscheiden sich. Zuzutrauen ist Pilatus ein verächtlicher Beiklang bei diesen Worten: „Seht her, da ist dieser Mensch!“

Pontius Pilatus wird im Johannesevangelium so dargestellt, als wollte er Jesus gar nicht verurteilen, als wäre er dazu gezwungen worden durch die Ankläger. Die blieben ja draußen vor dem Sitz des Prokurators stehen, damit sie sich für das bevorstehende Pessach nicht verunreinigten. Das ist der Grund, warum Pilatus ständig zwischen Drinnen und Draußen hin und her musste, was seinen Auftritt hier ein wenig ins Lächerliche zieht. Später wird er dann seine Hände in Unschuld waschen, um damit zu zeigen, dass er Jesus eigentlich freilassen wollte, auf jeden Fall die Verantwortung für dessen Tod nicht tragen wollte. Die Hauptverantwortlichen für den Tod Jesu sind für Johannes wie die anderen Evangelisten „die Juden“. Das zieht sich durch die Passionsgeschichten der Evangelien und hat sich seit der frühen Zeit des Christentums in der Geschichte äußerst verhängnisvoll ausgewirkt. Die Juden, so hieß es bald ganz pauschal und allgemein, galten als die Gottesmörder.

Lebenskunst
Sonntag, 7.4.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Christenverfolgung Ende des 1. Jahrhunderts

Dieser Vorwurf wurde zum wichtigsten Element des christlichen Antijudaismus durch die Jahrhunderte und dieser christliche Antijudaismus mündete letztlich in den rassischen Antisemitismus und dann in die Shoa. Schon im Neuen Testament und da besonders deutlich im Johannesevangelium sehen wir die Tendenz, Pilatus zu entlasten und gleichzeitig die Schuld am Tod Jesu pauschal und allgemein „den Juden“ zuzuschreiben. Warum? Johannes schreibt sein Evangelium gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Da ist die Trennung des jungen Christentums vom Judentum bereits vollzogen. Es begannen aber die Verfolgungen durch den römischen Staat. Da wollte Johannes vielleicht den Römern, in Person des Pilatus, nichts Schlechtes nachsagen. Das Judentum war schon rund 30 Jahre davor von den Römern grausam niedergeschlagen worden, weshalb es auch im Trend der Zeit gelegen hat, das Judentum zu beschuldigen und die staatlichen Autoritäten möglichst gut dastehen zu lassen.

Freundlicher Philosoph oder grausamer Schlächter

Historisch ist seit langem klar, dass die Darstellung des Pilatus im Johannesevangelium mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Pilatus wird ja fast wie ein freundlicher Philosoph beschrieben, nachdenklich und von Gewissensnöten geplagt, der an Jesus ehrlich interessiert ist, der sich mit ihm über dieses merkwürdige Reich, das nicht von dieser Welt ist, unterhält und ihn nach der Wahrheit fragt. Außerchristliche Quellen belegen hingegen, dass Pilatus wohl eher ein rechter Bluthund gewesen ist, dem Freundlichkeit und Interesse an philosophischen Fragen recht fern gelegen haben. Während seiner Herrschaft – so heißt es - gab es zahlreiche „Morde in schneller Folge und ohne Urteile“. Er schuf sich seinen schlechten Ruf „durch unsagbare und außerordentlich schlimme Rohheit“ (Philon, Legatio ad Gaium, 302).

Pilatus ging es nur um die politische Macht. Es dürfte ihm schon genügt haben, dass Jesus nicht völlig ausschloss, ein König zu sein. Damit war er in seinen Augen schon gefährlich, ein potentieller Aufrührer, der noch dazu eine große Anhängerschaft gefunden hatte. Er musste ausgeschaltet werden. Pilatus hat andere wegen weit geringerer Verdachtsmomente beseitigen lassen. Wieso sollten ihn also gerade jetzt Skrupel geplagt haben?

„Zeit zur Umkehr“

Es ist unerlässlich, dass die heutige Auslegung die historische Wahrheit, soweit sie sich rekonstruieren lässt, aufdeckt und die schuldbeladene Wirkungsgeschichte nicht verschweigt. Beides ist Ausdruck der Verantwortung, die auch die Kirchen für die Verfolgung und Ermordung der Jüdinnen und Juden tragen.

Die evangelische Kirche hat in ihrer Erklärung „Zeit zur Umkehr“ aus dem Jahr 1998 festgehalten: „Diese unsere belastete Vergangenheit verlangt nach einer Umkehr, die die Auslegung der Heiligen Schrift, die Theologie, die Lehre und die Praxis der Kirche umfasst.“

Das gilt es zu bedenken, wenn die Passionen eines Johann Sebastian Bach, wenn Passionsspiele und ähnliches aufgeführt werden und natürlich auch, wenn über die Passionsberichte der Evangelien in den Kirchen gepredigt wird. Gerade heuer wird diese Verpflichtung deutlich. Denn der Karfreitag 2019 ist zugleich der Sederabend, mit dem das jüdische Pessachfest beginnt.