Staatenlos

Rosa Winter ist 1923 in Oberösterreich als Sinteza, also als eine Angehörige der Sinti, geboren. Die Familie waren fahrende Händler und als sie im Herbst 1939 in Salzburg Station gemacht haben, wurden sie von der Polizei festgehalten, ihr Wagen, ihre Pferde und Waren wurden beschlagnahmt und alle Leute wurden in ein Sammellager auf dem Areal der Trabrennbahn gebracht.

Gedanken für den Tag 10.4.2019 zum Nachhören (bis 9.4.2020):

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Im September 1940 kamen sie ins Lager Maxglan, von dort hat sich Leni Riefenstahl Statist/innen für den Film „Tiefland“ ausgesucht. Rosa Winter war dabei und wurde zu den Dreharbeiten nach Mittenwald gebracht. 1941 wurde sie ins Konzentrationslager Ravensbrück deportiert, von dort ist sie nach einem Arbeitseinsatz außerhalb des Lagers im April 1945 geflüchtet. Zu Fuß kehrte sie nach Linz zurück. Das sind 800 km.

„Uns hat es nicht geben sollen“

Rosa Winter hat lange an den körperlichen und seelischen Verwundungen gelitten. Was aber ihre Geschichte so erschütternd macht war, dass sie keine Rente bekam und von der Sozialhilfe leben musste, weil sie bis 1991 als „staatenlos“ galt. Die österreichische Staatsbürgerschaft ist ihr während der Nazidiktatur einfach aberkannt worden. Bis 1991 hat dieser bürokratische Hürdenlauf gedauert. Dann erst wurde ihr die Staatsbürgerschaft zuerkannt und dann erst hat sie eine Opferrente zugesprochen bekommen.

Im Jahr 2004 haben Rosa Winter, ihre Tochter Gitta und ihre Enkelin Nicole das Interview-Buch „Uns hat es nicht geben sollen“ veröffentlicht, in dem diese drei Generationen Sinti-Frauen von ihrem Leben erzählen. Im Dezember 2004 wurde Rosa Winter für ihre Leistungen als Zeitzeugin das Goldene Verdienstzeichen des Landes Oberösterreich verliehen.

Marion Dworzack
ist Romni, Feministin und Katholikin

Die Menschen hinter den Schreibtischen

Ihre Tochter Gitta Martl wird heuer mit dem Preis des Penclubs für Romaliteratur ausgezeichnet. Die Enkelin Nicole Sevik und Gitta Martl haben in Folge des jahrelangen Kampfes um die Wiedererrichtung der Rechte ihrer Mutter und Großmutter den ersten und lange einzigen Sintiverein Österreichs, Ketani – Gemeinsam, gegründet. Vor circa zwei Jahren haben sie ihn mangels ausreichender Förderung von öffentlicher Hand auflösen müssen.

Der zynische Text Berthold Brechts, dass der Pass der edelste Teil des Menschen sei, bekommt durch Rosa Winter Leben. Keinen Pass oder den „falschen“ Pass zu haben, kann auch heute noch gefährlich sein, kann auch heute einen Menschen zum Menschen zweiter oder dritter Klasse degradieren.

Rosa Winters Beispiel ist in meinen Augen eine Mahnung an die Leute hinter den Schreibtischen, dass ein Stift keine Waffe sein darf und dass Umsicht, Demut und Menschlichkeit in die bürokratische Arbeit immer einbezogen sein müssen.

Buchhinweis:

Ludwig Laher (Hg.), Rosa Winter, Gitta und Nicole Martl: Uns hat es nicht geben sollen. Drei Generationen Sinti-Frauen erzählen", Verlag Franz Steinmassl

Musik:

Gypsysoul und Harri Stojka: „Prolog/Garude apsa“ von Harri Stojka und Ivana Ferencova
Label: Geco Tonwaren/Hoanzl H 2912