Mein Ramadan

„Du Arme!“, so hört man es oft von wohlmeinenden Leuten kurz vor dem Ramadan. Und umgekehrt dann am Ende: „Na, Du wirst froh sein, morgen hast Du diesen Monat hinter Dir, da ist es überstanden.“

Gedanken für den Tag 6.5.2019 zum Nachhören (bis 5.5.2020):

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Und da merke ich, es ist so schwer für Außenstehende, sich vorzustellen, dass man an Ramadan Freude hat, dass das ein Monat ist, den man gern hat und von dem man sich dann auch schwer am Ende verabschiedet. Freiwillig einen ganzen Monat lang tagsüber auf Essen und Trinken verzichten? Ist das nicht reine Selbstquälerei? Und wie soll das überhaupt im modernen Alltag funktionieren? Ich gebe es zu, ein gewisses Kribbeln, bevor es losgeht, stellt sich ein. Innere Vorbereitung braucht es. Schon in den Tagen vor Ramadan schmeckt das Glas Wasser, das man zwischendurch trinkt, viel intensiver als sonst – einfach im Wissen darum, dass es das bald tagsüber nicht geben wird.

Carla Amina Baghajati
ist Schulamtsleiterin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich

Einstimmung auf Ramadan

Und doch ist diese gewisse Spannung vor der selbst gestellten Aufgabe eine ganz angenehme. Und eben gar nicht zu vergleichen mit der Stimmung, bevor man eine Diät startet. Bei einer Diät weiß ich, da muss ich mich zurücknehmen, das ist ein Stück Selbstbeschränkung. Ramadan ist da anders. Da ist etwas Spirituelles drin. Und Ziel ist ja auch, nicht abzunehmen. Sogar der positive Effekt für die Gesundheit ist mehr ein willkommener Nebeneffekt. Im Vordergrund steht die Erfahrung, Gott vertrauen zu können. Und damit vor allem auch sich selbst zu stärken.

Mein Fasten braucht Gott nicht. Mir selbst tut es gut, mich im bewussten Verzicht aufs Wesentliche besinnen zu können. Während ich bei einer Diät ständig überlege, ob sich dies oder das zu essen im Tagesplan noch ausgeht, rückt im Ramadan die Nahrungsaufnahme tagsüber völlig in den Hintergrund. Aufs Essen vergessen – es geht auch ohne – zumindest temporär. Mich selbst werde ich dabei wieder mehr spüren, auch in meinen Grenzen. Geduld entwickeln, mit mir und anderen. Und mich dabei bemühen, wacher durch die Welt zu gehen, empathischer. Mich hoffentlich wie jedes Jahr zuvor wundern, wie viel Gutes in diesem Monat gelingt. Musliminnen und Muslime sprechen dann von der Gnade des Ramadan.

Buchhinweis:

Carla Amina Baghajati, „Muslimin sein - 25 Fragen, 25 Orientierungen“, Verlag Tyrolia

Musik:

Marc Sinan, Marc Muellbauer und Heinrich Köbberling: „Ücüncü Taksim“
Label: ECM Records 2076 / 1773154