Bibelessay zu Joh 10 11 - 16 und 27 - 30

Jesus, der gute Hirte, dieses Bild ist vielen Menschen vertraut. Es findet sich bereits in den Katakomben von Rom und vermittelt auch heute noch Geborgenheit und Güte, Wachsamkeit und Schutz.

Das Bild vom Hirten gehört auch zum Traditionsgut des ersten oder Alten Testamentes. So bekennt der 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser“ und der Beter vertraut darauf, dass dieser Hirte ihn zu einem Leben in Fülle leitet und ihn auch im Todschattental nicht im Stiche lässt.

Herwig Sturm ist emeritierter Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche.

Der gute Hirte ist bis heute Vorbild für Kirchenleitung. Der Krummstab des katholischen Bischofs erinnert daran. Auch unsere evangelische Kirchenverfassung beschreibt die Aufgaben des Bischofs als Hirtenamt für die Pfarrerinnen und Pfarrer, dazu als Wächteramt über die reine Verkündigung des Evangeliums und als Sorge um die Einheit der Kirche und ihre Stimme in der Öffentlichkeit .

Evangelische Bischöfe werden gewählt

Eine Besonderheit des evangelischen Bischofsamtes besteht darin, dass es befristet ist auf 12 Jahre und dass der Bischof oder die Bischöfin gewählt wird. Jede Diözese kann zwei Personen nominieren, und aus dem Kreis derer, die sich dann auch der Wahl stellen, wählt die Synode mit 2/3 Mehrheit die Frau oder den Mann ihres Vertrauens. Das ist eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit.

Dem Bischof oder der Bischöfin wird eine Kirche zugewiesen, in der er oder sie jederzeit das Recht hat zu predigen, aber es gibt keine eigene Gemeinde. Ich war jeden Sonntag woanders; bei einem Jubiläum, bei der Einführung oder Verabschiedung wichtiger Mitarbeiter, bei der Visitation einer der sieben Diözesen oder einfach auf Grund des Wunsches einer Gemeinde, mich persönlich kennen zu lernen.

Bischöfliche Teamwork

Ich bin gerne so unterwegs gewesen; jede neue Gemeinde ist eine neue Erfahrung, oft eine neue Liebe. Dann geht es bald wieder weiter. Ich habe aber doch einen Einblick gewonnen in das vielfältige Gemeindeleben, habe - als Repräsentant der Gesamtkirche - ihre Arbeit gewürdigt und konnte diese Erfahrungen wiederum einbringen in den Lernprozess der Gesamtkirche.

Sendungshinweis

Lebenskunst - Begegnungen am Sonntagmorgen, 5.5.2019, 7.5. Uhr, Ö1.

Der Bischof oder die Bischöfin arbeitet im Team, genannt Oberkirchenrat, vergleichbar mit einer Regierung. Hier gibt es die Referate Personal, Bildung, Religionen und Ökumene (also das Miteinander der christlichen Kirchen), wirtschaftliche und juristische Kompetenz. Die Entscheidung über die Struktur und die einzelnen Gesetze unserer Kirche liegt bei der Synode.

Hier hatte ich als Bischof Sitz und Stimme und die Verpflichtung, einen Bericht zu geben, wie ICH die Situation der Kirche einschätze und wie es weitergehen soll. Darüber gibt es eine Aussprache, bei der bleiben wir nicht unter uns, sondern sehen uns eingebunden in die Kirchen der Ökumene und mitverantwortlich für die Gesellschaft und Welt, in der wir leben. Vor allem aber hören wir auf den Hirten, dessen Wort und Weg uns leitet, Jesus Christus.

„Diener eurer Freude“

Das Bischofsamt ist ein Geschenk, so steht es im 31. Psalm: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“. Dieser weite Raum sind die evangelischen Pfarrgemeinden in Österreich und die Kirchen der Ökumene. Das sind die Kontakte mit den Kirchenbünden in Europa und auf Weltebene und die Begegnungen mit Spitzen der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Ein Geschenk sind viele persönliche Gespräche, manche Anliegen und Sorgen übersteigen allerdings den Einfluss eines Bischofs.

Dieses Amt ist allerdings auch eine sehr große Herausforderung: der volle Terminkalender, die vielen verschiedenen Eindrücke und Arbeitsfelder, verantwortungsvolle Stellungnahmen und Entscheidungen. Nicht zuletzt die persönliche Spiritualität, dass ich im Getümmel des Alltags meine Verankerung im Evangelium bewahre und den schöpferischen Geist Gottes immer neu erlebe. Dazu halte ich mich an den Apostel Paulus, er schreibt an seine Gemeinde in Korinth: „Ich bin nicht Herr über Euren Glauben, aber Diener an Eurer Freude“.
Das ist mein Hirtenstab.