„Die Welt ist ohne Sprache. Sprachlos würde auch, wer sie verstünde“

Zum 100. Todestag von Gustav Landauer: Der Schriftsteller Gustav Landauer ist, wie er selbst schrieb, „etwas unüblich“ und passt „in kein Schubfach“.

Gedanken für den Tag 13.5.2019 zum Nachhören (bis 12.5.2020):

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Als Anarchist verwarf er Gewalt und Terror und bekämpfte den Kriegswahn und Militarismus, den Staat und den Parlamentarismus. Als Individualist plädierte er für eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der sich die Einzelnen zu Gemeinschaften zusammenschließen, gemeinsam arbeiten und die erwirtschafteten Produkte tauschen.

Kirchen und Religionsgemeinschaften lehnte er ab, doch die Schriften des Theologen und Mystikers Meister Eckhart faszinierten ihn. Mit der jüdischen Kultusgemeinschaft brach er im Alter von 22 Jahren, später wandte er sich seiner Herkunftsreligion jedoch wieder zu – nicht zuletzt unter dem Einfluss seines Freundes Martin Buber; der jüdische Religionsphilosoph gab nach Landauers Tod den gemeinsamen Briefwechsel und zwei Bände mit Landauers Aufsätzen heraus.

Cornelius Hell
ist Literaturkritiker und Übersetzer

Ketzer, Sektierer und Mystiker

Auch politisch saß Landauer zwischen allen Stühlen: Die Sozialdemokraten schlossen ihn aus, August Bebel denunzierte ihn als Polizeispitzel; den Anarchisten war er oft zu wenig militant; die Kommunisten drängten ihn aus der Räteregierung; rechte Freikorps-Soldaten haben ihn ermordet.

Landauer hat nie Gewalt ausgeübt oder zu ihr aufgerufen, ganz im Gegenteil. Der von ihm gegründete „Sozialistische Bund“ hatte zu seinen besten Zeiten etwa 800 Mitglieder, war also für niemanden eine Bedrohung. Der Räteregierung gehörte er knapp zwei Wochen an, dann trat er freiwillig zurück. Wodurch hat der Schriftsteller und Intellektuelle Gustav Landauer solchen Hass auf sich gezogen?

Vielleicht durch seine Klarsicht. Man mag sein politisches Denken unrealistisch oder ihn selbst einen Phantasten nennen, aber dass er den Finger auf die wunden Punkte der großen politischen Konzepte gelegt hat und ein unabhängiger, durch nichts korrumpierter Geist war, ist unbestritten. Seine Schrift „Die Revolution“ von 1907 propagiert nicht den Umsturz und ein neues politisches System, sondern die ständige Notwendigkeit einer Revolution. Gustav Landauer gehört in jedem System zu den Ketzern, Sektierern und Mystikern, die durch nichts beruhigt werden konnten. Darin liegt seine Herausforderung, seine Aktualität.

Buchhinweise:

  • Cornelius Hell, „Ohne Lesen wäre das Leben ein Irrtum. Streifzüge durch die Literatur von Meister Eckhart bis Elfriede Gerstl“, Verlag Sonderzahl
  • „Meister Eckhart. Mystische Schriften“, Übersetzung und Nachwort von Gustav Landauer, Insel Verlag
  • Gustav Landauer, „Skepsis und Mystik“, Büchse der Pandora
  • Gustav Landauer, „Die Revolution“, Edition AV
  • Gustav Landauer, „Aufruf zum Sozialismus“, Inktank Publishing
  • Gustav Landauer, „Shakespeare“, Hansebooks
  • Victor Klemperer, „Man möchte immer weinen und lachen in einem". Revolutionstagebuch 1919“, Aufbau Verlag

Musik:

Tomáš Višek/Klavier: „Shimmy-Fox - für Klavier: Moderato“ von Alois Hába
Label: Supraphon SU 31462131