„Gnadenstuhl“ und Flurdenkmal

Mit der Marterl-App durch Niederösterreich: „Marterl“ werden sie oft genannt, die zahlreichen Flur- und Kleindenkmäler – wie sie in ganz Österreich fast allgegenwärtig sind.

Meist zeigen sie den „gemarterten“ Christus (daher die Bezeichnung). In vielen Fällen hält aber zusätzlich ein alter Mann das Kreuz dem Betrachter, der Betrachterin gleichsam entgegen, und darüber schwebt eine weiße Taube: Damit ist das „Marterl“ eigentlich ein Gnadenstuhl – ein künstlerischer Versuch, das theologische Konzept der „Dreifaltigkeit“ oder der „Dreieinigkeit“ sichtbar zu machen.

Memo
Montag, 10.6.2019, 19.05 Uhr, Ö1

Eine App für Niederösterreichs Marterl

Der Begriff stammt angeblich von Martin Luther – und in seiner volkstümlichen Form prägt der Gnadenstuhl bis heute ganz maßgeblich das landläufige Gottesbild vom alten Mann mit Rauschebart und dem Heiligen Geist als Vogel.

Wallfahrtskirche Sonntagberg Gnadenbild

ORF/Markus Veinfurter

Das Gnadenbild am Hochaltar der Wallfahrtskirche Sonntagberg – aus dem Jahr 1614.

Am Pfingstmontag, am Tag nach dem christlichen Hochfest des Heiligen Geistes, der – theologisch gesprochen – dritten „göttlichen Person“, begibt sich die Reihe MEMO auf einen Streifzug – im wahrsten Sinn des Wortes durch Wald und Feld: In Niederösterreich wurden in den vergangenen Jahren die Flur- und Kleindenkmäler systematisch erforscht – und sind mittlerweile sogar in Form einer eigenen „App“ erfasst. Ausgerüstet mit seinem Smartphone beginnt Markus Veinfurter den Rundwanderweg auf dem Sonntagberg im Mostviertel.

Wurzeln im Mittelalter

Die Wallfahrt auf den Sonntagberg geht bis ins Mittelalter zurück. Die erste Kapelle wird 1440 errichtet. Die barocke Basilika in ihrer heutigen Gestalt stammt aus dem 18. Jahrhundert (nach Entwürfen von Jakob Prandtauer – vollendet von Josef Mungenast). Nach einer längeren Phase des Niedergangs wurde die Wallfahrt in den vergangenen Jahrzehnten wiederbelebt.

Wallfahrtskirche Sonntagberg Basilica minor Niederösterreich

ORF/Markus Veinfurter

Die Wallfahrtskirche Sonntagberg im Mostviertel – 1964 zur „Basilica Minor“ erhoben.

Sonntagberg ist ein Wallfahrtsort der besonderen Art: Hier steht (anders als in Mariazell zum Beispiel) nicht die „Jungfrau und Gottesmutter“ im Mittelpunkt, sondern die Dreifaltigkeit. Das Gnadenbild zeigt einen alten Mann mit Rauschebart und einer Tiara auf dem Kopf (wie sie früher auch der Papst getragen hat), der dem Betrachter/der Betrachterin ein Kreuz mit dem Gekreuzigten entgegenhält und darunter schwebt eine weiße Taube.

Wallfahrtskirche Sonntagberg Gnadenstuhl

ORF/Markus Veinfurter

Ein „Sonntagberger Gnadenstuhl“ im Inneren der Basilika: In der Reihenfolge des Kreuzzeichens sind die drei „göttlichen Personen“ untereinander angeordnet.

Sonntagberg und Karnabrunn

Dieser „Sonntagberger Gnadenstuhl“ ist auf zahlreichen Bildstöcken („Marterln“) in ganz Niederösterreich zu sehen. Ein anderer Typus ist nach einem kleinen Wallfahrtsort im Weinviertel benannt. Beim „Karnabrunner Gnadenstuhl“ sitzen Gott-Vater und Gott-Sohn (mit dem Kreuz in der Hand) nebeneinander - und der Geist schwebt über ihnen.

Wallfahrtskirche Sonntagberg innen

ORF/Andreas Mittendorfer

Innenansicht der Wallfahrtskirche am Sonntagberg - am späten Nachmittag.

Der Begriff „Gnadenstuhl“ ist fast genauso rätselhaft wie das theologische Konzept dahinter. Angeblich geht er auf Martin Luther zurück, der in seiner Bibelübersetzung den goldenen Aufsatz auf der Bundeslade (auf lateinisch „propitiatorium“ genannt) als „Gnadenstuhl“ bezeichnet. Auf Hebräisch „kaporet“ genannt ist damit der Ort benannt, an dem sich der Ewige zeigt - sein Sitz auf Erden sozusagen.

Gestaltung: Markus Veinfurter

Memo 10.6.2019 zum Nachhören (bis 9.6.2020):

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