Die Nachtseite

Zum Welttag der kulturellen Vielfalt: Moderne Demokratien bemühen sich um Frieden, sie beherrschen Gewalt und Aggression durch allseits akzeptierte Rituale, sie kümmern sich darum, dass es möglichst allen gut geht.

Gedanken für den Tag 24.5.2019 zum Nachhören (bis 23.5.2020):

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Zurecht gilt es, diese Gesellschaftsform zu verteidigen und nicht nur durch die Teilnahme an Wahlen zu stützen. Denn neben jenen, die von den süßen Früchten der Demokratie naschen können, gibt es auch jene, für die diese Früchte nicht vorgesehen sind. Es gibt die einen – und die anderen.

Brigitte Schwens-Harrant
ist Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Sicherheit beruht auf Gegenseitigkeit

Das Beispiel demokratischer Sklavenstaat etwa zeigt, dass sich eine Gesellschaft einerseits in Richtung Frieden und Gemeinschaft von „Gleichen“ entwickeln konnte, dass es aber parallel dazu immer auch Nichtgleiche, „Menschen ohne Teilhabe“ gab, also einen rechtsfreien Raum. „Die Geschichte der modernen Demokratie hat zwei Gesichter oder zwei Seiten – eine Tag- und eine Nachtseite. Kolonialreich und Sklavenstaat (…) sind die wichtigsten Sinnbilder der Nachtseite“, schreibt der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe. Vielleicht war es immer schon so, dass demokratische Gemeinschaften nur Gemeinschaften von Gleichartigen waren. Vielleicht hatte eine friedliche Gemeinschaft immer schon irgendwo sichtbar oder unsichtbar ihre Sklaven oder die Fremden ausgestoßen, jene Menschengruppen, die keinen Anspruch auf die selben Rechte hatten. Das Prinzip dieser Trennung wird durch das Fabrizieren von bedrohlichen Schreckgespenstern ständig mit Nahrung versorgt.

Dass Blut und Abstammung unsere Zuordnung von Menschen prägen, wie Achille Mbembe behauptet, das möchte man – gerade hierzulande und angesichts der österreichischen Geschichte – gerne sofort empört von sich weisen. Und doch werden Herkunft und Zugehörigkeit zunehmend Thema, wird die Frage gestellt, wie man jene, „die nicht zu uns gehören“, auf ihren Platz verweisen oder aus dem Land schaffen kann, begründet mit der Notwendigkeit von Sicherheit.

Aber Sicherheit kann man nicht herstellen, indem „man Chaos und Tod in die Ferne zu den anderen auslagert“, so Mbembe. „Früher oder später wird man in der Heimat ernten, was man in der Ferne gesät hat. Sicherheit kann nur auf Gegenseitigkeit beruhen.“

Buchhinweise:

  • Achille Mbembe, „Politik der Feindschaft“, Suhrkamp Verlag
  • Brigitte Schwens-Harrant, Jörp Seip, „Mind the gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten“, Klever Verlag

Musik:

Klazz Brothers: „Guantánameritmo“ <Mozart, Sonate c-moll, KV 457, Allegro molto> von Wolfgang Amadeus Mozart, arrangiert von Klazz Brotherss
Label: SONY BMG 82876727212