Einander ausgesetzt

Die Rede von der „Diversität“ hat ihren Ursprung in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die sich gegen den Rassismus richtete. Seither wurden europaweit Maßnahmen für Gleichbehandlung und gegen Diskriminierung eingeführt.

Gedanken für den Tag 25.5.2019 zum Nachhören (bis 24.5.2020):

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Doch der Diskurs verschiebt sich allmählich. Das berechtigte Hinterfragen traditioneller Geschlechterrollen wird als „Genderideologie“ beschimpft, der Ruf nach einer „Leitkultur“ verstummt nicht und „Identität“ wird gegen andere eingesetzt, mit enormen politischen, ökonomischen und sozialen Folgen.

Viele Zuschreibungen, die wir anderen gegenüber vornehmen, funktionieren nach Gegensätzen: wir und sie, zivilisiert und primitiv, hell und dunkel. Banale, simple, vereinfachende Modelle sind immer erfolgreicher als komplexere Versuche, mit der ethnischen, religiösen, geschlechtlichen Vielfalt von Menschen zurechtzukommen.

Brigitte Schwens-Harrant
ist Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Idee des Mitmenschlichen und Gemeinsamen

Das ganze narrative Bemühen, einzuteilen in „diese hier“ und „die da drüben“, die Versuche, Menschen einzuhegen in ein hierarchisches System, verschleiern aber, schrieb der britische Soziologe Stuart Hall, „wie tief unsere Historien und Kulturen stets miteinander verflochten waren und sich gegenseitig durchdrungen haben, wie absolut nötig der andere für unser eigenes Identitätsbewusstsein ist.“

Diese Welt ist die Einzige, die wir haben. Sie muss von allen geteilt werden, zeigt sich auch der kamerunische Historiker Achille Mbembe überzeugt und er fragt: „Wie kann man unter den heutigen Bedingungen die Entstehung eines Denkens fördern, das weltweit zur Stärkung demokratischer Politik beitragen könnte, eines Denkens, das eher auf gegenseitige Ergänzung als auf Unterschiede ausgerichtet ist?“

Seine Fragen bleiben die Herausforderung für jetzt und für die Zukunft: „Ist eine andere Weltpolitik möglich, die nicht notwendig auf Unterschied oder Andersheit basierte, sondern auf einer sicheren Idee des Mitmenschlichen und Gemeinsamen? Sind wir nicht dazu verdammt, einander ausgesetzt zu sein, und das zuweilen in ein und demselben Raum?“

Buchhinweise:

  • Stuart Hall, „Das verhängnisvolle Dreieck. Rasse, Ethnie, Nation“, Suhrkamp Verlag
  • Brigitte Schwens-Harrant, Jörp Seip, „Mind the gap. Sieben Fährten über das Verfertigen von Identitäten“, Klever Verlag

Musik:

Ladies Only Cafe Strings: „All of me“ von Gerald Marks und Seymour Simons, arrangiert von Lars Kallin
Label: Naxos Light Classics 8557177