Bibelessay zu Johannes 14, 23 – 29

Die Texte des Evangelisten Johannes, die in der Zeit zwischen Ostern und Pfingsten gelesen werden, machen mich schwindelig. Sie sind so dicht, komplex, erklären sich nicht von selbst. Ich weiß nicht, wie es Ihnen dabei geht.

Heute möchte aus diesem dichten Gewebe ich drei Fäden ziehen: Die Frage nach dem Gottesbild Jesu, die Frage nach dem geistlichen Testament Jesu und die Frage, was es mit dem ominösen Heiligen Geist auf sich hat.

Magdalena Holztrattner
ist Theologin, Armutsforscherin und Direktorin der katholischen Sozialakademie Österreichs

Liebevoller Vater

Der erste Faden, der mich in diesem Text fasziniert, ist das Gottesbild Jesu. In der ersten Textpassage, die gelesen wurde, webt Jesus mit den Fäden Gott, Vater, Liebe und Einheit zwischen diesem Gott und ihm selbst. Auf die Frage „Wer ist dein Gott?“ zeichnet Jesus ein sehr persönliches Bild von Gott. In seiner Muttersprache Aramäisch bezeichnet Jesus seinen Gott als abba, als zärtlichen Vater, als liebevollen Papa. Ich betrachte Gott auch als barmherzige Mutter, eine liebevolle Mama. Auf diesen nahen Gott verweist Jesus ständig. Es geht ihm – im Gegensatz zu vielen anderen sogenannten Heilsbringern – nicht um sich selbst, sondern immer um Gott. Es geht ihm um die Frage, woran Menschen glauben. Was für Menschen im letzten heilig, das Wichtigste im Leben ist. Woran Menschen ihr Herz hängen.

Liebe und Frieden

Den zweiten Faden, der mich beschäftigt, ist der Kontext, in dem diese Textpassage aus dem Johannesevangelium steht. Jesus weiß, was nun auf ihn wartet: der mehrfache Verrat durch seine Jünger und der grausame Foltertod am Kreuz als Konsequenz seiner offenen Rede und seiner menschenfreundlichen Taten im Namen dieses seines Gottes. Er übergibt seinen Freundinnen und Freunden quasi sein geistliches Testament.

Lebenskunst
Sonntag, 26.5.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Er redet von der Liebe, die jene auszeichnet, die ihn lieben. Es ist eine Liebe, die konkret ist, die Menschen zum vollen Leben, zur Gemeinschaft befreit, einer Liebe, die im Herzen berührt und selbst zur Liebe erlöst. Einer Liebe, die stärker ist als jede Sünde und jeder Tod. Und er redet vom Frieden. Einem Frieden, der nicht - wie so oft in dieser Welt - mit Waffenstillstand verwechselt wird. Er redet von einem Frieden, wie sein Gott ihn schenkt – wo das gute Leben für alle möglich ist.

Wes Geistes Kinder sind wir?

Der dritte Faden zieht zum Heiligen Geist. Diese Geistkraft Gottes, so verspricht Jesus, wird die Seinen dann, wenn er weg ist, daran erinnern, was seine Botschaft ist: die Botschaft der Liebe und des Friedens, der Wahrheit und der Barmherzigkeit. Von der Geistkraft Gottes zu sprechen ist selbst für uns Theologinnen und Theologen eine Herausforderung. Leichter ist die sozialethische Frage zu verstehen nach dem Geist, der uns leitet: Wes Geistes Kinder sind wir? In welchem Geist sind wir in dieser Welt wirksam? Wie gehen wir mit dem um, was uns wichtig ist?

Heute finden auch in Österreich die EU-Wahlen statt. Die EU hat meiner Generation ein ganzes Leben in einem weitgehend friedlichen Europa ermöglicht. Bei der Wahl muss ich mich fragen: Wie geht eine zur Wahl stehende Person mit dem um, was mir wichtig ist – den Menschen, der Umwelt, dem sozialen Zusammenhalt, den demokratischen Strukturen und den Menschenrechten? Wes Geistes Kinder sind die Mitglieder einer zu wählenden Partei?

Möge die Geistkraft Gottes auch in dieser Wahlentscheidung leiten, um das friedliche, demokratische und solidarische Zusammenleben so vieler Menschen in der Vielfalt der europäischen Staaten weiterhin zu ermöglichen.