Bibelessay zu Apostelgeschichte 1, 1 – 11

Nein, ich werde jetzt keinen theologischen Versuch wagen, wie das mit der Himmelfahrt Jesu zu verstehen sei. Ich möchte nicht darüber spekulieren, ob nicht Tod, Gang in die Unterwelt – hinabgestiegen in das Reich des Todes heißt das im Glaubensbekenntnis – Auferstehung und Himmelfahrt ein einziges Ereignis sind oder ob der Himmel gleichbedeutend mit dem Paradies ist.

Mir geht es heute einzig um diese merkwürdige Frage seiner Getreuen an Jesus: „Herr, stellst du in dieser Zeit das Reich für Israel wieder her?“

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Publizist

„Stellst du das Reich Israel wieder her?“

Man muss sich das vorstellen: Sie sind mit ihm herumgezogen, haben seine Predigt von der Gottesherrschaft gehört, sie haben angststarr seine Verhaftung erlebt. Sein Foltertod am Kreuz muss ihnen durch Mark und Bein gegangen sein. Dann die Erfahrung, dass der Tote lebt. Er lebt, wenn auch auf eine unerhörte, mit nichts vergleichbare Weise. Es ist keine Rückkehr ins Leben, wie es vorher war. Er lebt in fremder Gestalt und ist doch wie mitten unter ihnen, präsent auf eine neue Weise, seinen Jüngerinnen und Jüngern näher als sie sich selbst sind.

Doch dann, nach all diesen bestürzenden, verwirrenden und beglückenden Erfahrungen und Begegnungen, diese Frage, als wäre das alles nicht geschehen: Stellst du jetzt das Reich Israel wieder her, das großartige Reich des legendären Königs David und des weisen Salomon? Offenbart diese Frage nicht, dass Freundinnen und Freunde Jesu nichts begriffen haben von dem, worum es ihm gegangen ist?

Am Alten festhalten

Und ist damit nicht zugleich genau die Situation der späteren Anhängerschaft beschrieben, d. h. von vielen Getauften? Einerseits hängen sie an diesem Jesus, seiner Lehre und seinem Schicksal; andrerseits sind viele doch nicht imstande, ihn zu verstehen und ihm zu folgen. Die Gottesherrschaft ist kein Reich, das es zu verwirklichen gilt – aber manche Kirchen sind durch die Jahrhunderte der Versuchung des Reichs und der Macht erlegen, in allen ihren denkbaren Varianten, bis hin zu den schlimmsten Formen des Missbrauchs.

Lebenskunst
Donnerstag, 30.5.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Wie ich es sehe, hat Jesus weder eine Religion gestiftet noch eine Kirche gegründet. Aber kaum war er tot, sind viele seiner Jünger in die alten Muster zurückgefallen. Nach der Bibel sind in Jesus alle Opfer an ihr Ende gekommen – und doch glaubte man, am Alten festhalten zu müssen, einschließlich Opfer und Opferpriester.

Der Traum vom Reich

Peter Karner, der frühere Superintendent der evangelischen Kirche Helvetischen Bekenntnisses in Österreich, hat das unlängst so ausgedrückt: „Zu Christi Himmelfahrt sind die Christen Christus endgültig losgeworden.“

Die Situation der Kirche, d. h. von jenen, die an Jesus glauben und die ihr Leben an ihm orientieren, ist für mich ein gewaltiges Paradox. Er ist in den Himmel erhoben – und uns doch unvergleichbar nah. Er ist selbst Kindern verständlich – und wird dennoch von den Seinen missverstanden. Der Traum vom Reich ist noch nicht ausgeträumt. Vielleicht heißt Gottesherrschaft nichts anderes, als dass kein Mensch über einen anderen herrschen soll.