Bibelkommentar zu Römer 8, 14 – 17

Als meine Kinder sprechen gelernt haben, war das für mich ungeheuer faszinierend zu beobachten. Sie sind in die Sprache und die damit verbundenen Denkwelten hineingewachsen.

Sie haben Wörter gesammelt und versucht, sie miteinander zu kombinieren. Sie haben Wörter erfunden, von denen ich immer noch meine, dass sie in jedem Wörterbuch stehen sollten. Und ich konnte ihnen dabei zusehen, wie sie in Sprache zu denken beginnen, sie zu Persönlichkeiten heranwachsen, sich mit ihrem Körper auch ihr Geist entwickelt.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin und Germanistin, Theologische Fakultät der Universität Kassel

Mit Sprache Grenzen überwinden

Denn Geist hat etwas mit Sprache zu tun. Das ist die breite Überzeugung in der Geschichte des abendländischen Nachdenkens des Menschen über sich selbst. Menschen sind geistbegabt. Entsprechend können sie ihren Geist gebrauchen, und eben diese Tätigkeit des Geistes ausdrücken – sie können sprechen. Die Sprache ist Möglichkeit des Selbstausdrucks, von Kommunikation, von Zusammenarbeit, Gesellschaft, von Kreativität.

So scheint es nicht so weit hergeholt, dass die biblischen Texte, die vom Geist sprechen, ebenfalls von Sprache handeln. Das jedenfalls tun die Erzählungen, die um Pfingsten kreisen – um die Gabe des göttlichen Geistes, den Gott nach der Aufnahme Jesu in den Himmel den Jüngerinnen und Jüngern sendet und von dem sich die frühen Christinnen und Christen getragen fühlen. Die Apostelgeschichte berichtet davon, dass Petrus und die anderen auf einmal zu reden beginnen. Sie, die einfachen Leute, die es wahrlich nicht gewohnt waren, große Reden zu schwingen, sprechen nun zu der versammelten Menge. Es ist ein Idealbild von Sprache, das hier vorgestellt wird. Sie finden die richtigen Worte. Sie werden von allen verstanden. Ihr Reden überwindet Sprach- und Kulturgrenzen. Es trifft, so formuliert es die Apostelgeschichte, „mitten ins Herz“.

Ursprung des menschlichen Sprechens

Der Geist, das heilige Pneuma, macht also offenbar beredt. Und doch geht es in der Sprache des Geistes nicht, oder wenigstens nicht in erster Linie um die großen Reden, das Argument, die ausgearbeitete Abhandlung. Im Blick ist auch nicht eine Sammlung von wahren Sätzen oder Gesetzen. Dies zeigt ein Blick in eine Passage des Römerbriefs, die nicht umsonst zu den pfingstlichen Lesungen gehört. Im 8. Kapitel redet Paulus von der Gabe des Geistes. Er schreibt den Mitgliedern der Gemeinde in Rom: „Ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba, Vater!“

Lebenskunst
Montag, 10.6.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Das griechische Wort, das Paulus verwendet und das die Einheitsübersetzung mit „rufen“ übersetzt, ist krazo. Es ist ein Schallwort, dem Sprechen des Raben nachgebildet. Krazo bedeutet kein Rufen mit klarer, lauter Stimme und deutlicher Artikulation. Es ist vielmehr ein Krächzen, ein urwüchsiges Sprechen. Tief aus dem Inneren können die Adressatinnen und Adressaten des Paulus Gott anrufen – als Vater, als Abba, als Papa. Es ist eine Äußerung des Vertrauens, vergleichbar mit dem Sprechen eines Kindes, das seine ersten Worte sagt. Dieses Sprechen ist noch nicht Inhalt. Es ist kein etwas-Sagen. Es ist strikte Anrede, gerichtet an ein Du, getragen von einer Beziehung, die im Idealfall Liebe ist. Die biblische Rede vom Geist führt damit zurück an den Ursprung des menschlichen Sprechens.

Das letzte Ziel von Sprache

Paulus unternimmt diese Rückkehr zum Ursprung nicht umsonst. Er weiß um die Gefahren von Sprache. Wo wir uns in Sprache bewegen, haben wir es mit Normen zu tun, mit Vorstellungen von Gut und Böse. Sprache trennt zwischen richtig und falsch, zwischen normal und anders, zwischen uns und den anderen. Diese in Sprache gefassten Vorstellungen formen unser Handeln und auch schon unser Denken. Sie können, so formuliert es Paulus, zu einem „Geist der Knechtschaft“ werden. Sie bestimmen uns dann soweit, dass wir uns den geltenden Normen unterwerfen, die Begriffe nicht mehr hinterfragen, den letzten Sinn in ihnen sehen.

Die Rückkehr zu den Ursprüngen verweist darauf, dass das letzte Ziel von Sprache woanders liegt. Ich finde es im Krächzen, in der Anrede an ein Du. Es liegt für mich im Vertrauen darauf, dass unser Sprechen nicht ins Leere läuft, dass unsere Worte, unser Dasein, Sinn hat. Es ist eben dieses Vertrauen, das Sprache immer neu wagen, Normen und Zuschreibungen auf den Prüfstand stellen, neue Möglichkeiten suchen lässt. Denn genau das heißt es, ein geistiges Wesen zu sein.