Mein Europa-Tagebuch

Gedanken zu 25 Jahre Volksabstimmung über einen EU-Beitritt Österreichs am 12. Juni 1994.

Gedanken für den Tag 11.6.2019 zum Nachhören (bis 10.6.2020):

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Das Ende der österreichischen EU-Beitrittsverhandlungen ist nichts für schwache Nerven. 70 Stunden wird Ende Februar 1994 fast durchgehend verhandelt. Ein Marathon, mit allen Höhen und Tiefen. Obwohl glühender Europäer, droht Außenminister Alois Mock zwischendurch schwer verärgert mit dem Abbruch: „Eine Krise, wo man heimfährt, steht sicherlich im Raum!“, sagt er. Zuckerquoten, Milchkontingente und das Thema Transit sind die Knackpunkte.

Waltraud Langer
ist Chefredakteurin der ORF TV-Magazine

Mehr Europa erfordert mehr Mut

Während Deutsche und Belgier die Österreicher unterstützen, zieren sich die Franzosen. Offiziell wegen des Transits, inoffiziell aus Sorge vor einem deutschsprachigen Block in der EU. Die österreichischen rot-schwarzen Verhandler aus Politik und Sozialpartnerschaft arbeiten so eng und gut zusammen, wie seither wohl nie wieder. Und: Sie suchen in der EU Verbündete. So schreibt Finanzminister Ferdinand Lacina seinem Parteifreund Kommissionspräsident Jacques Delors einen Zettel: “Jacques, es schaut schlecht aus!“ Trotzdem vergeht Stunde um Stunde. „Wie lang dauert es noch?“, frage ich den vorbeieilenden Alois Mock. „Encore un peu du temps!“, seine hastige Antwort, ein wenig noch.

In dieser Zeit als Korrespondentin in Brüssel fühle ich mich oft wie eine Volkshochschullehrerin. Die EU ist damals komplettes Neuland für Österreich. Selbst Spitzenpolitiker lassen sich in unserem Büro über die EU informieren. Die Skepsis ist groß. So ist eines Tages die legendäre Frauenministerin Johanna Dohnal in Brüssel. Auf meine Frage, ob ihr die EU eigentlich sympathisch sei, rutscht es ihr spontan heraus: „Na!“

Am Dienstag, 1. März, 22.14 Uhr ist es soweit, die Verhandlungen sind abgeschlossen. Die Verhandler sind euphorisch. „Ich bin sehr glücklich!“, so Europastaatssekretärin Brigitte Ederer. Ein bewegter Alois Mock im Kreise der EU-Außenminister: “Für Österreich ist der Weg in das gemeinsame Europa frei geworden!“ Doch am Weg zurück nach Wien beschleicht so manchen Verhandler ein mulmiges Gefühl: Geht es jetzt doch darum, die gar nicht EU-begeisterte eigene Bevölkerung zu überzeugen.

Wie sagte der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck einst so treffend: „Mehr Europa erfordert mehr Mut von allen.“

Musik:

Europa Galante unter der Leitung von Fabio Biondi: „Allegro - 2. Satz“ aus: Concerto grosso in D-Dur op. 6 Nr. 7 von Arcangelo Corelli
Label: Opus 111 OPS 30155