Vom gläubigen und ungläubigen Staunen

60 Tage nach Ostern begeht die katholische Kirche das Fronleichnamsfest. Es wurde über Jahrhunderte als ein Fest des Schauens, des Zeigens aber auch des Staunens verstanden. In der betenden Betrachtung der gewandelten Hostie wird die lebendige Gegenwart Christi erfahrbar.

Gedanken für den Tag 18.6.2019 zum Nachhören (bis 17.6.2020):

Dieses Element ist nicht mehr verfügbar

Zur Sichtbarmachung wurden ab dem 13. Jahrhundert Monstranzen entwickelt, um die konsekrierte Hostie zu zeigen. Mich brachte die Monstranz der Pfarre Matzen zum Staunen und auch zum Fragen. Denn auf ihren Türmchen turnen oberhalb der Heiligen völlig zweckfrei kleine wilde Männer. Sie sind über und über behaart, nur das Geschlecht ist eindeutig sichtbar. Sie tragen ein Schriftband um ihren behaarten Körper. Aber dieses Schriftband ist ohne Botschaft.

Elena Holzhausen
ist Diözesankonservatorin der Erzdiözese Wien

Einfach staunen

So nahm ich mir die Freiheit heraus, jenseits der Wissenschaft, eine für mich mögliche Botschaft zu suchen. Bei dieser Suche stieß ich auf den Dichter und Orientalisten Navid Kermani. In seinem Buch „Ungläubiges Staunen“, schreibt er über die Eucharistie: „Was soll ich denn tun, ich glaube nun mal nicht an so etwas“. Kermanis aus seinem ungläubigen Staunen erwachsene Conclusio beeindruckte mich und sie berührte mich tief. Denn er ist sich der möglichen Gefahr bewusst, ins Despektierliche zu verfallen, wenn er hinterfragend über Glaubensgeheimnisse anderer schreibt. Das möchte er nicht. Deshalb legt er seinen Leserinnen und Lesern ganz einfach sein Staunen zu Füßen.

Und der Dichter staunt ein zweites Mal im Zusammenhang mit der Eucharistie. Dieses Staunen ist dem meinem verwandt: dem Staunen vor der zweckfreien, und fantasievollen Gestaltung von Monstranzen. Denn kein Detail ist für irgendjemanden sichtbar. Nicht bei der Anbetung und auch nicht bei den Prozessionen. Wenn sich in diesem Punkt das gläubige und das ungläubige Staunen gegenüberstehen und einander erkennen, dann beginnt ein wunderbarer Dialog. Es ist ein Dialog, für den ich dankbar bin und den ich brauche. Er regt mein Denken an, weitet meinen Horizont und auch mein Herz. Diese Weite hilft mir wiederum, fremde Positionen zu verstehen ohne in der eigenen Position verlassen und verunsichert zu sein.

Musik:

Great Orchestra of Katowice & Philharmonic Choir of Silesia, conducted by Antoni Wit: „Les Marionettes“ aus: La double vie de Veronique / Original Filmmusik von Zbigniew Preisner
Label: 1991 Sideral LC3098