Bibelessay Buch der Sprichwörter 8,22-31

Ein schöner, ein aufregender Text, den die Weisheit Gottes hier spricht. Und ein wunderbares Bild von Weisheit: Die Weisheit Gottes spielt.

Das ist ziemlich gegensätzlich zu unserem üblichen Bild von Weisheit. Meistens wird die Weisheit ja mit ernsten Gesichtern alter, würdiger Männer mit langem Bart verbunden. Manchmal noch mit genauso ernsten Gesichtern alter, würdiger Frauen. Kinder dürfen da höchstens ehrfürchtig davor sitzen und auf die weisen Lehren hören.

Elisabeth Birnbaum
ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Das Spielerische ist Gottes Freude

Doch in dieser Bibelstelle im Ersten oder Alten Testament ist die Weisheit selbst ein Kind. In meiner Vorstellung sitzt sie auf dem Boden, in ihr Spiel vertieft, wie es kleine Kinder so oft sind, und rund um sie entsteht die Welt. Gott, wie ein tüchtiger Vater und Heimwerker, „baut“ inzwischen Himmel und Erde. Gleichzeitig erfüllt sie ein gewisser Stolz, dass sie das alles miterleben kann, dass sie teilhat an der Tätigkeit des Vaters. Ich kann das sehr gut nachempfinden. Als Tochter eines Philharmonikers durfte ich meinem Vater sehr oft zusehen, wie er am Podium oder im Orchestergraben der Oper saß und musizierte. Ich war sehr stolz auf ihn und glücklich, dabei sein zu dürfen. Und hab allen davon erzählt.

Die Weisheit ist aber nicht nur stolz auf den Vater, sondern wie der Text sagt, sie ist die Freude des Vaters. Das Verspielte an der Weisheit gefällt ihm. Vielleicht, weil er selbst verspielt ist? Wenn die Weisheit mit kindlicher Begeisterung aufzählt, was ihr Vater da alles zustande bringt, wenn sie staunend die Schöpfung beschreibt, dann lenkt sie den Blick auf die vielen Details dieses Bauwerks und seiner unterschiedlichen Lebewesen. Dann heißt das für mich: Hier ist ein spielerischer, kreativer Gott am Werk. Das Spielerische ist Gottes Freude.

Klug sein ist erlaubt

Wenn ich weiterdenke, fällt mir noch etwas auf: Wenn die Weisheit Gottes geliebtes Kind ist, wenn sie Gottes Schöpfung ist, sogar die Erstgeborene der Schöpfung, dann steht Weisheit nicht im Gegensatz zum Glauben. In vielen Texten, auch in der Bibel, wird Weisheit als Gegnerin Gottes dargestellt. Hier nicht. Mir gefällt dieses Bild von Weisheit, das Spielerische daran. Es zeigt mir, dass Weisheit nichts Abgehobenes sein muss.

Lebenskunst
Sonntag, 16.6.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Neugierig zu sein, wissbegierig oder klug zu sein, das steht für mich nicht im Gegensatz zu Glauben und Gottesliebe. „Glauben heißt nichts wissen“ stimmt nicht. Heißt für mich: Klug sein ist erlaubt, umso mehr, wenn es nicht verbittert und verkrampft, sondern verspielt daherkommt. Die Weisheit ist geliebtes Kind Gottes.

Gebrauchsanweisung für das Spielzeug „Welt“

Und ein dritter Gedanke: Die Weisheit ist nicht die, die alles erschaffen hat, aber sie ist dabei gewesen – sie begreift, wie und warum alles entstanden ist, hat den Bauplan gesehen und die Durchführung beobachtet. Auch wenn sie selbst als Kind das nicht zustande gebracht hätte, - sie versteht Sinn und Ziel der Welt, wie alles mit allem zusammenhängt.

Und das möchte sie den Menschen mitteilen. Das lese ich aus dem Satz, dass sie Gottes Freude und dass es ihre Freude ist, bei den Menschen zu sein. Sie kennt die Gebrauchsanweisung für das Spielzeug „Welt“, und wird den Menschen begeistert von diesem Wissen erzählen: Und so erfahren wir von dieser verspielten Weisheit, wie sich ihr Vater die Welt gedacht hat, und: Wie man als Mensch mit der Welt am besten umgeht.

Freude am Schöpfergott, Freude an der Welt und Freude an den Menschen hat diese Weisheit. Die verspielte, unwiderstehliche Freude eines Kindes.