Bibelessay zu Lukas 9,11b-17

Wunderbare Brotvermehrung? Bei manchen heißt diese Geschichte immer noch so, meist ein Relikt aus Kindertagen. Doch Bibelwissenschaft und Religionspädagogik sprechen schon seit vielen Jahrzehnten von den „Speisungserzählungen“. Im Plural, denn insgesamt sechs finden sich im Neuen Testament, jeweils zwei im Evangelium nach Matthäus und Markus sowie jeweils eine bei Lukas und Johannes.

Diese Version ist die des Evangelisten Lukas. Für die Auslegung seines Textes habe ich mir zwei Brennpunkte gewählt. Den ersten nenne ich „Gott und Brot“. Ich stamme aus Niederösterreich, aus dem nördlichen Weinviertel, und meine Eltern waren Bauern. Seit Kindertagen bin ich mit Feldarbeit vertraut, mit Ackern, Säen und Ernten. Und auch mit Brot aus dem Backofen, auf das meine Mutter mit dem Messer immer drei Kreuze gezeichnet hat. Auch in meiner Familie wird Brot vor dem Anschneiden gesegnet. Brot, „das tägliche Brot“ ist mir heilig.

Josef Schultes
ist Bibelwissenschaftler und Religionspädagoge

Gott und Brot

Meine Beziehung zu Brot macht mich offen für das, worauf Lukas und seine Vorlage, das Evangelium nach Markus, zurückgreifen. Nämlich auf Geschichten zu „Gott und Brot“ aus dem Alten, dem Ersten Testament. Dort gibt es ja die bekannte Erzählung über das Manna; mit diesem „Brot vom Himmel“ (Ex 16,4.15) soll Mose den Hunger in der Wüste gestillt haben. Oder die Legende um den Propheten Elija und die Witwe von Sarepta (1 Kön 17,7-16); ihr Mehltopf soll nicht leer geworden sein und ihr Ölkrug versiegte nicht. Schließlich eine packende Story um den Propheten Elischa. Als eine Hungersnot herrschte, soll zu ihm ein Mann gekommen sein mit zwanzig Gerstenbroten. Wörtlich heißt es dann: „Elischa sagte: Gib es den Leuten zu essen! Doch sein Diener sagte: Wie soll ich das hundert Männern vorsetzen? Elischa aber sagte: Gib es den Leuten zu essen! Denn so spricht der HERR: Man wird essen und noch übrig lassen. Nun setzte er es ihnen vor; und sie aßen und ließen noch übrig, wie der HERR gesagt hatte“ (2 Kön 4,42-44).

Lebenskunst
Donnerstag, 20.6.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Drei Speisungsgeschichten aus der hebräischen Bibel zu „Gott und Brot“. Sie bilden für mich die Basis, um den Evangelisten Lukas wirklich verstehen zu können. Denn er zeigt Jesus als einen zweiten Mose, er stellt ihn über die großen Propheten Elija und Elischa. In Wort und Tat. Und er bringt Jesu Einzigartigkeit in beeindruckender Symbolsprache zum Leuchten: Zwölf Körbe voll bleiben übrig von den fünf Broten, die zwölf Apostel an fünf Mal tausend Menschen verteilen. Und nur Lukas schreibt einleitend zu seiner Speisungsgeschichte: „Der Tag begann sich zu neigen“ (V.12). Für mich eine Brücke zu „Brot und Ostern“, zu meinem zweiten Brennpunkt.

Brot und Ostern

„Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt“ (Lk 24,29). So lässt Lukas seine beiden Emmaus-Jünger zu ihrem Begleiter sagen, in der mich so faszinierenden Ostergeschichte. Und weiter heißt es dort: „Und als er mit ihnen bei Tisch war, nahm er das Brot, sprach den Lobpreis, brach es und gab es ihnen“ (Lk 24,30). Fast der gleiche Wortlaut wie im Evangelium des heutigen Feiertags.

„Brot und Ostern“. Die Emmaus- und die Speisungserzählung, beide bieten einen weiten Horizont. Die eine lädt ein, die Angst vor „zu wenig Brot“ herzugeben und dem Teilen zu vertrauen, dem Wunder der leeren Hände. Die andere lädt ein, die Angst vor „zu viel Leid und Tod“ loszulassen und an die Auferstehung zu glauben, an die Verwandlung in ein Immer-mit-Gott-Leben.