Bibelessay zu Lukas 9,18-24

Dieser Textabschnitt aus dem Lukasevangelium ist für mich nicht einfach. Ich muss ihn ein wenig einbetten in die gesamte Erzählung des ganzen Evangeliums.

Nach Geburt und Erwachsenwerden Jesu kommt eine erste Zeit des Wirkens in Galiläa. Ein Gebiet, kleiner als Vorarlberg, das ist der Raum, in dem sich Jesus bewegt. Es ist eine frohe Zeit, Jesus tut laut biblischer Darstellung Wunder, er heilt und erzählt Gleichnisse, er bringt die „frohmachende Botschaft“ von der Zuwendung Gottes zu den Menschen, vom Angenommen- und Geliebtsein, ohne Bedingung. Aber auch die Auseinandersetzungen nehmen zu. In diese Situation hinein ist dieser Textabschnitt aus dem Lukasevangelium überliefert, kurz danach beginnt der Weg Jesu nach Jerusalem.

Helga Kohler-Spiegel
ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg im FB Human- und Bildungswissenschaften, Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin und (Lehr-)Supervisorin, Feldkirch

Das Leben wird siegen

Immer wieder wird von Jesus erzählt, dass er sich zurückzieht, um zu beten. Nur seine Jüngerinnen und Jünger sind bei ihm, vertraute Menschen, die das Leben mit ihm teilen. Sie fragt er: „Wer, sagen die Leute, dass ich sei?“ Jesus fragt: Wie sehen mich die Menschen? Jesus ahnt, dass er sich mit dem, was er verkündet und tut, nicht nur Freunde schafft. Johannes der Täufer wurde bereits ermordet, die Gefahr, in Besatzungszeiten als Aufwiegler auch ermordet zu werden, ist groß. Heute würden wir diese kurze Sequenz als „Krise“ bezeichnen. Jesus ist gezwungen zu überprüfen, wo er steht, und wie sein Weg weitergehen soll.

Das Bekenntnis, das Petrus in dem Text ablegt, ist noch zu früh. Für die meisten Menschen ist noch nicht sichtbar, wer Jesus wirklich ist. Sein Auftreten und seine Botschaft führen zu Leiden und Folter und Tod. Und enden mit einem ersten Hinweis darauf, dass die Liebe stärker ist als der Tod, dass nicht Gewalt und Folter, sondern das Leben siegen wird.

Zeit für die persönlichen Kraftquellen

Doch noch warnt Jesus und macht klar: „Wenn einer hinter mir hergehen will, verleugne er sich selbst…“ Schwierige Worte, finde ich. Da muss ich gedanklich ein wenig ausholen. Die Evangelien betonen: Gott sorgt für den Menschen, der Mensch muss keine Angst um sich selbst haben. Und wenn ich keine Angst um mich selbst haben muss, dann kann ich „hinter Jesus hergehen“, das heißt, so zu leben versuchen wie er. Jesus beschönigt nicht, wie hoch der Preis sein kann. Und wenn ich Menschenrechtsberichte lese, dann werden Menschen bis heute für ihren Glauben, für ihren Gewaltverzicht, für ihre Liebe gefoltert und ermordet.

Lebenskunst
Sonntag, 23.6.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Das griechische Wort „sich selbst verneinen, verleugnen“ meint: sich von der eigenen Vergangenheit zu lösen, sich von der eigenen Vergangenheit lösen zu dürfen. Es ist ein geschenkter Neuanfang. Denn es ist nicht wichtig, ob bisher im Leben alles rund lief. Was zählt, ist das Hier und Jetzt – und die Verbindung mit Gott, mit Jesus. Christinnen und Christen erinnern daran, bis heute: Geh hinter Jesus, wie in einer Seilschaft, bleibe mit ihm in Verbindung.

Und da, denke ich, schließt sich der Gedanke des heutigen Textes: Dafür ist es von Zeit zu Zeit nötig, sich zurückzuziehen, Zeit zu haben für sich selbst und für die persönlichen Kraftquellen. Es ist von Zeit zu Zeit nötig, sich mit Freundinnen und Freunden auszutauschen. Und den eigenen Weg gehen.