Auf einer schwebenden Brücke

Wie ist die Welt entstanden? Religionen beantworten diese Frage seit jeher mit Mythen und Bildern. Heute: eine kleine Exkursion in den ostasiatischen Raum zum sogenannten Shinto, einer für Japan relevanten Religionstradition.

Gedanken für den Tag 28.6.2019 zum Nachhören (bis 27.6.2020):

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Das, was man heute unter Shinto versteht, ist im Wesentlichen gestaltet worden im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, allerdings greift die Shinto-Tradition auf viele Elemente zurück, die sehr viel älter sind. Unter anderem auch auf den ältesten Text der japanischen Kulturgeschichte überhaupt, das so genannte Kojiki, was übersetzt so viel bedeutet wie die „Aufzeichnungen alter Begebenheiten“ oder „Bericht von den Alten Dingen“, der 712 n.Chr. niedergeschrieben wurde.

Franz Winter
ist Religionswissenschaftler an der Universität Graz

Izanami und Izanagi

Darin findet sich am Anfang auch eine Beschreibung der Weltentstehung, die recht spektakulär ist. Vorausgesetzt wird dabei, dass bereits etwas vorhanden ist, auf Basis dessen die Welt dann hervorgebracht wird. Es ist dann das Götterpaar Izanami und Izanagi, das auf Anordnung von ihnen vorgeordneten Göttern zu agieren beginnt. Sie befinden sich zunächst in einem Raum, der nur aus Wasser, Luft und einer frei schwebenden Brücke zu bestehen scheint. Auf dieser Brücke stehen die beiden Götter nun und rühren das salzige Wasser mit einem juwelenbesetzten Speer um. Und aus den Tropfen, die dann herunterfallen, entsteht die Ur-Insel Onogoro, was wörtlich „die von selbst Geronnene“ bedeutet. Allerdings muss diese erste Schöpfung wieder korrigiert werden, weil das Götterpaar beim anschließenden Hochzeitsritus einen Fehler macht und eine Missgeburt hervorbringt. Erst beim zweiten Anlauf gelingt der Vorgang und es entstehen als erstes die acht großen Inseln Japans.

Aber selbst danach geschehen dem Götterpaar Izanami und Izanagi weitere Missgeschicke, die zum Beispiel zur Abtrennung der Unterwelt, der Welt der Toten, führen und damit endgültig den Kreislauf von Leben und Tod für die Menschen eröffnen. Dieser wäre uns nämlich ansonsten erspart geblieben. Auch Götter machen also zuweilen schwere Fehler.

Musik:

Jean Pierre Rampal/Flöte und Lily Laskine/Harfe: „Der Mond über der Schloßruine“ (Kojo no Tsuki) von Taki Rentaro, bearbeitet von Akio Yashiro
Label: Denon 8115