Schreibende Juristen

Der wohl berühmteste aller schreibenden Juristen bediente sich in seinen Schriftsätzen mitunter einer heftigen Sprache.

Gedanken für den Tag 10.7.2019 zum Nachhören (bis 9.7.2020):

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In einem Prozess, wo er einen Porzellanfabrikanten gegen dessen Vater vertrat, ging verbal wohl einiges Porzellan zu Bruch. Der gegnerische Schriftsatz stelle eine „abscheulichste Missgeburt“ dar und gleiche dem Tonfall eines „zanksüchtigen alten Weibes, deren erhitztes Gehirn sich in fünf Worten erschöpft“.

Daniel Zipfel
ist Schriftsteller und Jurist im Asylbereich

Wie Merseburger Biere

Der Gegenanwalt war nicht minder zimperlich, und schlussendlich kassierten beide einen Verweis des Richters, sie mögen sich einer anständigeren Sprache bedienen. Der schreibende Jurist war Goethe, und die richterliche Mahnung nahm er sich wohl nicht besonders zu Herzen, konstatierte er doch: „Ein höflich Recht will gar nichts heißen!“

Er dichtete zwar in mehreren literarischen Gattungen, zeichnete, forschte naturwissenschaftlich und wurde obendrein Minister des Herzogs von Sachsen-Weimar, aber sein rechtswissenschaftliches Studium war für ihn, zumindest am Anfang, eine vom Vater erzwungene Qual. Erst nach einiger Zeit bekannte er schließlich, mit der Jurisprudenz sei es wie mit dem Merseburger Biere: „Das erste Mal schauert man, und hat man’s eine Woche getrunken, so kann man’s nicht mehr lassen.“

Feld-, Wald- und Wiesenanwalt

Dass Goethe am Ende doch Gefallen fand an der Rechtswissenschaft, das mag an den Parallelen zum Schriftstellerischen liegen. An der präzisen Arbeit mit Sprache, einem geradezu feinmechanischen Handwerk, an der Bedeutung von Zwischentönen, des Ungesagten, und nicht zuletzt an der Beschäftigung mit der menschlichen Psyche, die beiden Tätigkeiten innewohnt. Goethe war das, was man heute einen „Feld-, Wald- und Wiesenanwalt“ nennen würde – einer, der sich mit menschlichen Alltagsproblemen befasst, von Schlägereien über Erbschaftsstreitigkeiten bis hin zu Viehmängeln. Hier begegnen einem die großen Fragen nach der menschlichen Natur, nach Gerechtigkeit, in banalen Konflikten.

So dürfen gesetzliche Bestimmungen auch nie zum formalistischen Selbstzweck werden, müssen letzten Endes immer dem Menschen dienen. Nahe an den Bedürfnissen des Menschen zu bleiben, ist auch ein Auftrag moderner Gesetzgebung und Rechtsprechung: Klarheit zu schaffen in Gesetzesstruktur und Sprache, Rechtssicherheit zu bieten und Bestimmungen auf eine Weise zu interpretieren, die gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung trägt.

Goethe jedenfalls konstatierte schlussendlich sogar: „Ein durchgreifender Advocat in einer gerechten Sache, ein durchdringender Mathematiker vor dem Sternenhimmel, sind beide gottähnlich.“

Musik:

Glenn Gould/Klavier: „Variatio 7 a 1 ovvero 2 Clav. Al tempo di Giga“ aus: Goldberg - Variationen BWV 988 „Aria mit 30 Veränderungen“ (aus Klavierübung Teil IV) von Johann Sebastian Bach
Label: SONY SMK 52594