Schriftsteller mit juristischem Hintergrund

Es gibt einige zeitgenössische Beispiele dafür, dass sich das Phänomen des Schriftstellers mit juristischem Hintergrund nicht nur auf die alten Meister aus dem Literaturkanon beschränkt.

Gedanken für den Tag 11.7.2019 zum Nachhören (bis 10.7.2020):

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So hat etwa die deutsche Schriftstellerin Juli Zeh, deren intellektuelle Schärfe und sprachliche Präzision mich immer wieder aufs Neue beeindrucken, im Jahr 2010 an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Saarbrücken promoviert. Fragen von Recht und Gerechtigkeit werden ebenso wie klassische juristische Dilemmata in all ihren Romanen behandelt, bilden stets einen Grundton ihrer Geschichten, mal mehr und mal weniger dominant.

„Knallzeuge“

Im Zuge der Frankfurter Poetikvorlesungen erzählte sie einmal vom Phänomen des „Knallzeugen“ und beschreibt damit eine Person, die sich bei einem Autounfall erst umdreht, als sie den Knall hört, aber fest davon überzeugt ist, die Ursache des Knalls, den Unfallhergang, gesehen zu haben. Damit spricht sie aus meiner Sicht eine zentrale Eigenheit des Rechts ebenso wie des Schreibens an: Die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen und sich nicht von ersten Überzeugungen leiten zu lassen. Nicht nach dem Augenschein zu urteilen.

Daniel Zipfel
ist Schriftsteller und Jurist im Asylbereich

Die Literatur, ebenso wie das Recht, gibt sich nicht mit dem Oberflächlichen zufrieden, sondern leuchtet die Tiefe aus, fragt analytisch, dekonstruierend, nach Ursachen und Konsequenzen menschlichen Handelns und zwischenmenschlicher Beziehungen.

Der Jurist folgt dabei einem Fallprüfungsschema, einer abstrakten Abfolge von Fragen nach Kausalität und Motiven, wobei er den Sachverhalt auseinandernimmt und im Lichte der relevanten Bestimmungen neu zusammensetzt. Der Schriftsteller agiert ähnlich, wenn er die Brüche seiner Figuren sucht, die Erfahrungen und Konflikte, die ihren Handlungen zugrunde liegen.

Die Abkehr vom allzu Einfachen, vom ersten Anschein und auch von der eigenen, subjektiven Perspektive bildet eine grundlegende Maxime der Suche nach Gerechtigkeit. Und dabei nicht zu vergessen, was Juli Zeh in ihrem Roman „Unterleuten“ schreibt: „Wenn ich (...) eins gelernt habe, dann dass jeder Mensch ein eigenes Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends recht hat.“

Musik:

Glenn Gould/Klavier: „Aria“ aus: Goldberg - Variationen BWV 988 „Aria mit 30 Veränderungen“ (aus Klavierübung Teil IV) von Johann Sebastian Bach
Label: SONY SMK 52594