Einwanderer und die Nation

Zum 200. Geburtstag von Herman Melville: Als Herman Melville 1819 in New York geboren wurde, zählte die Stadt etwa 120.000 Einwohner. Als er 1891 starb, waren es drei Millionen. Die Großstadt explodierte in den Jahrzehnten seines Lebens und entwickelte sich rasant.

Gedanken für den Tag 31.7.2019 zum Nachhören (bis 30.7.2020):

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Europäische Auswanderer wurden schiffeweise an der amerikanischen Küste abgesetzt, vor allem Iren, die vor der Hungersnot im eigenen Land flohen. Sie hatten ihre Arbeitskraft oft bereits vorab verpfändet für die Überfahrt.

Brigitte Schwens-Harrant
ist Literaturkritikerin und Feuilletonchefin der Wochenzeitung „Die Furche“

Zivilisierte Körper und barbarische Seelen

In seinem vierten Buch „Redburn“ schildert Melville 1849 unter anderem das Elend dieser Auswanderer im vollgepferchten Zwischendeck eines Schiffes: „Es war so, als käme man in ein überfülltes Gefängnis“, schreibt Melville. „Aus den Reihen der groben Kojen wandten sich Hunderte magerer schmutziger Gesichter uns zu.“

In vielen seiner Werke erinnert Melville an die Idee von einer Nation, der man nicht durch eine bestimmte Herkunft angehört, sondern durch Zustimmung zu einem Ideal, das freilich noch nicht verwirklicht ist. Auch durch seinen berühmtesten Roman „Moby Dick“ zieht sich die Vision von Freiheit, Demokratie und Gleichheit. „Lassen wir doch jenes viel erörterte Nationalthema endlich fahren: ob denn überhaupt solche Scharen armer Schlucker aus anderen Ländern an unseren amerikanischen Küsten landen sollten“, schreibt Melville in „Redburn“. „Geben wir lieber der allein möglichen Einsicht Raum, daß sie, wenn sie hergelangen können, weiß Gott auch das Recht dazu haben, und wenn sie auch ganz Irland mit all seinem Elend mitbringen.“

Melville griff für seine Darstellungen wohl auf Zeitungsartikel, Augenzeugenberichte und die politischen Debatten seiner Zeit zurück. Seine Überlegungen bleiben aktuell bis heute: „Wir haben vielleicht zivilisierte Körper und barbarische Seelen. Wir sind blind gegenüber dem wirklichen Anblick dieser Welt, taub gegenüber ihren Stimmen und tot gegenüber ihrem Tod.“

Buchhinweise:

  • Andrew Delbanco, „Melville. Biographie“, Verlag Hanser
  • Arno Heller, „Herman Melville“, Verlag Lambert Schneider

Musik:

Metro Voices und Filmorchester unter der Leitung von Blake Neely: „Fog bound“ aus: PIRATES OF THE CARIBBEAN : THE CURSE OF THE BLACK PEARL / Original Filmmusik von Blake Neely, Klaus Badelt, Ramin Djawadi, James Dooley, Nick Glennie Smith, Steve Jablonsky, James McKee Smith und Geoff Zanelli
Label: Walt Disney Records/WEA 5050466689924