Bibelessay zu Lukas 12,49-53

Von Kindern kann man viel lernen. – Ich erinnere mich gut an die Beichten von Volksschulkindern, die ich einst als Kaplan abnehmen durfte.

Was mir davon am stärksten in Erinnerung geblieben ist, sind zwei Dinge: 1. Es gab praktisch keine einzige Kinderbeichte, in der es nicht auch ums Streiten ging. Und 2.: Fast ausnahmslos verwendeten die Kinder sinngemäß die Formulierung „Ich weiß eigentlich nicht, warum – und obwohl ich meinen Bruder / meine beste Freundin wirklich mag – wir müssen immer so viel streiten.“ – „Wir müssen ...“ – Irgendwann habe ich mir gesagt: „Wahrscheinlich stimmt das genau so, wie die Kinder es sagen. Wahrscheinlich müssen sie wirklich streiten. Klar! Weil sie es lernen müssen!“

Markus Schlagnitweit
ist katholischer Theologe und Sozialethiker

Wie Konflikte ausgetragen werden

Es ist für funktionierende Sozialbeziehungen doch unabdingbar, Konflikte nicht unter den Teppich zu kehren, sondern sie austragen zu können. Und es ist nun einmal eine ganz simple und geradezu natürliche Tatsache, dass in vielen Situationen die Interessen von Menschen eben in verschiedene Richtungen gehen: Das fängt bei der Wahl des abendlichen Fernsehprogramms an und endet noch lange nicht im politischen Wahlkampf.

Der entscheidende Punkt ist also nicht, dass gestritten wird; das ist in jedem sozialen Umfeld normal und gehört einfach dazu. Worauf es ankommt, ist, wie gestritten wird, wie Konflikte ausgetragen und gelöst werden: fair oder nach dem Gesetz des Stärkeren; also mit Argumenten und gerechten Kompromissen oder einfach brutal mit der Faust. Und weil gerade dieses WIE vielen Menschen Angst macht (Oft durchaus begründet; viele haben in dieser Hinsicht schlechte Erfahrungen gemacht und sind hier eben gebrannte Kinder.), deshalb wird der Streit selbst, die Austragung der Konflikte zu umgehen versucht: verdrängt, unter den Teppich gekehrt und kaschiert, zugeschmiert mit faulen oder vorschnellen Kompromissen (oft auf Kosten Dritter).

Keine Lösung durch Verdrängung

Jeder Streit ist eben unangenehm; er bringt Unruhe ins soziale Gefüge. Jedem Streit wohnt auch die Gefahr der Eskalation inne, wenn er außer Kontrolle gerät und Ergebnisse zeitigt, die niemand ernsthaft wollen kann und die in keinem Verhältnis mehr stehen zu den ursprünglichen Auslösern und Ursachen des Konflikts. Aber ist deshalb das Streiten, das Austragen von Konflikten selbst schon böse und tunlichst zu unterlassen? Ist es – im Gegenteil – nicht sogar notwendig?

Lebenskunst
Sonntag, 18.8.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Übersehen wird ja allzu oft, dass durch bloße Verdrängung kein Konflikt gelöst, sondern nur seine ehrliche, faire und lösungsfähige Austragung verhindert wird. Das Nicht-Austragen von Konflikten bedeutet jedenfalls noch lange nicht Ruhe und Frieden – im Gegenteil: In Konfliktsituationen, die nicht offengelegt und ausgetragen werden, gewinnen immer die Mächtigeren, Schlaueren, Wendigeren – jene, die sich mit der ungelösten Konfliktsituation am besten arrangieren können; und es verlieren stets jene, die nicht über genügend Mittel und Freiheit verfügen, um den Konflikt auch tatsächlich aufs Tapet zu bringen und auf Augenhöhe auszutragen. Das gilt innerhalb von Familien nicht weniger als für den häufig zu Unrecht so genannten „sozialen Frieden“ innerhalb eines Landes oder gar weltweit.

Vielleicht hat Jesus genau diese zu Unrecht so heißenden vordergründigen und faulen „Friedensschlüsse“ gemeint, wenn ihm das Evangelium dieses an sich schreckliche und eigentlich eines religiösen Fanatikers würdige Wort in den Mund legt, er sei nicht „gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen …, sondern Spaltung.“ – Vielleicht ist das eine Provokation. Vielleicht eine notwendige Provokation in einer Welt, die erst lernen muss, Konflikte fair, aufrichtig und gerecht auszutragen und zu lösen, ehe sie wirklich Frieden finden kann.