Vater sein nach dem Patriarchat

Seit 33 Jahren bin ich Vater. Wie alles Wichtige kommt das über einen, geht nicht mehr so schnell vorbei und es bleibt einem erst einmal nichts anderes übrig, als sein Bestes zu geben. Irgendwann habe ich mir dann Gedanken darüber gemacht, was das eigentlich bedeutet: Vater sein.

Gedanken für den Tag 26.8.2019 zum Nachhören (bis 25.8.2020):

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Die erste und wichtigste Erkenntnis war nicht sehr originell, aber sie veränderte alles: Mit dem Patriarchat ist es vorbei. Das Patriarchat herrscht dort, wo der Mann für sich zwei Positionen beansprucht, die des überlegenen Geschlechts und die des geschlechtsneutralen Menschen. Der Mann ist da Schiedsrichter und Spieler zugleich, er bestimmt als Mensch das Spiel und gewinnt es als Mann dann natürlich. Das hat lange funktioniert, funktioniert aber heute nicht mehr wirklich. Zumindest in unserer Familie nicht und in den meisten anderen wohl auch nicht.

Rainer Bucher
ist katholischer Theologe

Eine soziale Tatsache

Denn heute wissen Ehefrau und Töchter es besser und sie haben es besser. Sie sind weder auf Väter noch überhaupt auf Männer angewiesen. Frauen haben in unseren Breiten erstmals in der Menschheitsgeschichte selbstverständlichen Zugang zu Bildung und damit die Chance auf ein männerunabhängiges Leben.

Das ist eine wirkliche Revolution. Das Patriarchat galt bis vor kurzem von alters her, es ist tief in allen Religionen verankert, und noch die Industriegesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts entwickelte eine ganz eigene Form des Patriarchats. Man trennte damals die Sphären von Arbeit und Familie, von Außen und Innen, von Vernunft und Gefühl, hierarchisierte sie und lud sie geschlechtstypisch auf.

Niemand sollte auch nur einen Hauch von Zweifel daran haben: Die Revolution der Geschlechterverhältnisse hat stattgefunden. Sie ist eine soziale, keine ideologische Tatsache. Gegen soziale Tatsachen aber hilft kein Jammern, man muss in ihnen bestehen. Zumal, wenn sie so verdient sind wie das sanfte Hinscheiden des Patriarchats.

Das aber bedeutet: Ich konnte nicht mehr Vater sein wie der eigene, 1912 geborene, Vater es war, so liebevoll er auch als unübertroffener Erzähler faszinierender Gute Nacht-Geschichten war.

Musik:

Branford Marsalis/Sopransaxophon und English Chamber Orchestra unter der Leitung von Andrew Litton: „Sicilienne“ aus der Musik zu dem Drama von Maurice Maeterlinck "Pelleas et/und Melisande von Gabriel Faure, Bearbeitung für Saxophon und Orchester von Michel Colombier
Label: CBS MK 42122