Wie lerne ich, nichts zu tun

Der Sommer geht zu Ende. Ich möchte Ihnen etwas über meinen Urlaub erzählen. Ein See in Kärnten. Das Wasser türkis. Die Sonne scheint. Ich liege am Strand und mache nichts. Genuss pur.

Zwischenruf 25.8.2019 zum Nachhören (bis 24.8.2020):

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Um mich herum allerdings ist wenig von Ruhe und Entspanntheit zu bemerken. Neuankommende blasen exotische Luftmatratzen-Kreationen auf. Ganz hoch im Kurs stehen Einhörner. Noch Trendigere schwingen ihre „Luftliegen“ gekonnt, bis sie prall gefüllt sind. Das obligatorische „Stand up Paddle“ wird aus dem Rucksack geholt und auf Betriebsdruck gebracht. Das Smartphone an die Powerbank gestöpselt.

Christian Herret
ist Pressereferent der Dreikönigsaktion

Unruhe steckt an

Und dann beginnt das „Entspannungsprogramm“: Kurz ins Wasser - abkühlen, Stand up Paddeln, Sonnenschutz auftragen, Facebook und Instagram checken, Selfie machen und posten, Cafe Latte oder Aperol Spritz holen, Power nappen – danach kurz ins Wasser, abkühlen…und alles wieder von vorne.

Die Unruhe steckt an. Vor allem Menschen wie mich, die von der Sekunde an, wo sie nicht produktiv sind, von schlechtem Gewissen geplagt werden. „Müßiggang ist aller Laster Anfang“ wurde mir von Kindesbeinen an eingetrichtert.

Digitale Fastenzeit

Es scheint so, als stünden wir alle jetzt sogar schon in unserer Freizeit unter einem gewaltigen Optimierungsdruck. Wenn meine Eltern Entspannung gesucht haben sind sie eine Runde spazieren gegangen. Wer heute in seiner Freizeit nicht zumindest für den Marathon trainiert gilt als träge. Du brauchst ein Ziel, ein Projekt.

Zwischenruf
Sonntag, 25.8.2019, 6.55 Uhr, Ö1

Der Anspruch an uns selbst ist gewaltig gestiegen. In einer Zeit, in der fast jede Handlung nur nach ihrem Nutzen bewertet wird, ist für Nichtstun kein Platz. Herumsitzen wird nur toleriert, wenn es der Selbstoptimierung dient: Wir meditieren, üben Achtsamkeit, murmeln Mantras. Selbst wenn wir beschließen, eine Zeit lang das Handy auszumachen, rufen wir gleich eine „digitale Fastenzeit“ aus.

„Niksen“

Um nicht als einzig Untätiger zwischen all den Freizeitaktiven aufzufallen greife ich zum Smartphone und google: „Wie lerne ich nichts zu tun.“ In 0,35 Sekunden liefert Google ca. 155.000.000 Ergebnisse. Alle Seiten kann ich nicht besuchen. Aber weit oben auf der Liste finde ich Artikel zum Begriff „niksen“.

Dabei handelt es sich um eine „Wohlfühlphilosophie“ aus Holland, die das bewusste Nichtstun feiert, um den Geist vom Dauerstress des Alltags – also sowohl vom Arbeits- wie auch vom Freizeitstress - zu erleichtern. Im Vordergrund steht das physische Nichtstun, die Gedanken auf Wanderung zu schicken, Tagträumen, was auch immer – alles ist erlaubt. Jegliche Hilfsmittel wie Smartphone, Buch, Zeitung, Stift und Zettel sind tabu.

Gerade diese Vorstellung macht mir Angst. Ich habe es schlichtweg verlernt, mit meinen Gedanken alleine zu sein. Sogar wenn ich mit der U-Bahn fahre, greife ich automatisch sofort zum Handy. Ohne irgendeine Form eines Unterhaltungsprogramms halte ich es nur ganz kurz mit mir selbst aus.

Am 7. Tag sollst du ruhen!

Ich bin damit nicht alleine. Wie weit die Angst vor dem Alleinsein mit sich selbst gehen kann zeigt mir ein weiterer Artikel über eine Studie der University of Virginia. Ein Forscherteam setzte Männer und Frauen in einen Raum, ohne Ablenkungsmöglichkeit, dafür mit einem Knopf, der einen Elektroschock auslöst. Anstatt einfach 15 Minuten rumzusitzen, drückte jeder vierte Proband lieber auf den Knopf und verpasste sich Schmerzen.

Ich surfe weiter und lande bei meiner Suche nach der „Kunst des Nichtstuns“ bei der Bibel. Wie wichtig die Frage der Balance zwischen Produktivität und Müßiggang ist lehren schon die 10 Gebote. Nicht umsonst hat es „Du sollst den Tag des Herrn heiligen“ in die Top 3 geschafft.

Wie Gott selbst – nach einer Woche des kreativen Schaffens – sollen wir am siebenten Tag voll Freude über das getane Wochenwerk ruhen. Die Sonntagsruhe, das Wochenende, der freie Tag, der Urlaub sind heilig. Auszeiten etwas Göttliches. Eine Kraftquelle. Oder wie es ein deutscher Psychologe ganz profan auf den Punkt bringt: „Wer nicht auftankt, kann nicht Vollgas geben.“