Erodiert die Humanität?

Wie sieht die Zukunft der Kriege aus und wie können wir ein Mindestmaß an Menschlichkeit garantieren? Die technischen Kriegsmittel haben sich gesteigert: Es gibt mehr Atomwaffen, als man zur Auslöschung der Menschheit benötigen würde.

Gedanken für den Tag 7.9.2019 zum Nachhören (bis 6.9.2020):

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Im Cyberwar kommt keine kinetische Energie zum Einsatz – ein Blackout durch einen solchen Angriff kann aber Leben kosten. Wenn zum Beispiel die medizinische Versorgung durch einen Stromausfall zusammenbricht, sterben Menschen, unabhängig davon, ob sie am Konflikt aktiv beteiligt sind oder nicht. Drohnen sind aus der modernen Kriegsführung schon nicht mehr wegzudenken. Ein nächster Schritt ist der Einsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz. Wie aber programmiert man Menschlichkeit in eine Maschine?

Gerald Schöpfer
ist Historiker und Präsident des Österreichischen Roten Kreuzes

Bürgerkriege und Terror

Doch auch konventionelle Kriege haben sich seit Dunant grundlegend geändert. Standen sich im 19. Jahrhundert noch deutlich zu unterscheidende Kriegsparteien gegenüber, so haben wir es heute mit unübersichtlichen Szenarien zu tun. Anstelle klassischer Kriege haben wir Bürgerkriege und Terrorbedrohungen. Dabei haben wie beispielsweise in Syrien oder dem Jemen viele Staaten wie Russland, USA, Iran, Saudi-Arabien und weitere ihre Hände im Spiel. Dazu kommen Terrorgruppen ohne klare Machtstrukturen, sie sind schwer ansprechbar.

Man kann annehmen, dass vielen Bürgerkriegskombattanten die Genfer Konventionen oder die grundlegenden Menschenrechte weitgehend unbekannt sind, oder dass man oft bewusst dagegen verstößt. So greift man sehr gezielt Krankenhäuser, Lazarette, Kindergärten und Schulen an.

Verrückte Werte

So haben das Rote Kreuz und die Schwesterorganisation Roter Halbmond an den Krisenplätzen unserer Welt eine steigende Zahl von Opfern zu beklagen. Allein in Syrien mussten bereits 50 freiwillige Helfer ihren humanitären Einsatz mit dem eigenen Leben bezahlen. Ihr Mut und ihre Opferbereitschaft können gar nicht hoch genug geschätzt werden. Und da stelle ich mir schon manchmal die selbstkritische Frage: Was tun wir selbst für eine gerechtere und friedlichere Ordnung unserer Welt?

Manche Politiker fordern das Einstellen von Rettungsaktionen im Mittelmeer, weil Flüchtlinge nicht einfach ertrinken zu lassen, angeblich Schlepperei begünstige. Und damit ist ihnen der Beifall an unseren Biertischen sicher. Als Anfang Juli in Libyen ein Luftangriff auf unbewaffnete und völlig hilflose Flüchtlinge 56 Tote und 130 teils schwer Verletzte forderte, gab es bei uns kaum Proteste oder irgendwelche Bekundungen eines Mitgefühls.

Sollten wir nicht einmal darüber nachdenken, ob sich unsere Werte nicht zu sehr verschoben und verrückt haben. Verrückt ist vielleicht das richtige Wort.

Musik:

Conor Oberst and Bright Eyes: „Coyote Song“ von Conor Oberst
Label: Sound Strike Songs