Ambivalenz

Familie geht jede und jeden etwas an, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Selbst wer sich gegen die Gründung einer Familie entscheidet, hat eine Herkunftsfamilie.

Gedanken für den Tag 10.9.2019 zum Nachhören (bis 9.9.2020):

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Da gibt es einen Vater oder eine Mutter, die einem Vorbild waren oder gegen die man sich zeitlebens abzugrenzen versucht. Da gibt es Geschwister, die einem lange über den Tod der Eltern hinaus freundschaftlich oder in Konkurrenz verbunden bleiben. Wie prägend Geschwisterbeziehungen für die eigene Biografie sind, hat die Familienforschung erstaunlicherweise erst in den letzten 15 Jahren richtig in den Blick genommen.

Intime Familienmomente

An meinen Kindern habe ich immer wieder beobachtet, welch subtile Mechanismen Geschwister entwickeln, um einander mitten ins Herz zu treffen. Aber auch, wie schmerzlich sie einander vermissen, wenn einer von ihnen auch nur ein paar Tage verreist.

Johanna Schwanberg
ist Direktorin des Dom Museum Wien

Insofern war ich sofort von den Fotografien der in New York lebenden Künstlerin Elinor Carucci begeistert, als ich bei den Vorbereitungen für unsere kommende Ausstellung „Family Matters“ auf ihr Langzeitprojekt „Mother“ stieß. Carucci, die 2004 Mutter von Zwillingen wurde, hat ihre künstlerische Arbeit über zehn Jahre lang nahezu ausschließlich der Dokumentation ihres Familienalltags gewidmet. Die Kamera war ständiger Begleiter der vierköpfigen Familie. In ungeschminkter Direktheit, zugleich aber auch nahezu barocker Sinnlichkeit und Farbintensität zeigt die in Tel Aviv aufgewachsene Fotografin die intimsten Momente ihres Familienlebens.

Elinor Carucci, Happiness, 2012
Courtesy GALLERY FIFTY ONE

Elinor Carucci

Elinor Carucci, Happiness, 2012 Courtesy GALLERY FIFTY ONE

Besonders amüsieren mich jene Fotos, in denen Carucci alltägliche, für Eltern ungemein nervenaufreibende Streitereien zwischen den Geschwistern festhält. So stellen wir in unserer Schau eine Fotografie aus, auf der ein kleines Mädchen mit einer Puppe in der Hand frontal im Vordergrund steht und ausgesprochen verärgert wirkt. Im Hintergrund marschiert ihr gleich alter Bruder mit gesenktem mürrischem Blick aus dem Bild. Die konfliktreiche Atmosphäre wird durch den Titel unterstrichen. Er lautet: „Wir reden nie mehr wieder miteinander“. Daneben ist eine zweite Fotografie zu sehen. Sie zeigt dieselben Kinder. Allerdings umarmen sie einander aufs Herzlichste. Der Titel lässt keinen Zweifel an der Geschwisterliebe. Denn das Bild nennt sich schlicht: „Glück“.

Link:

Dom Museum Wien: Family Matters

Musik:

Wanda: „Meine beiden Schwestern"
Label: Vertigo/Universal 003696/2_4