Bibelessay zu 1 Tim 2,1-8

An dieser Lesung aus dem 1. Brief an Timotheus im Neuen Testament ist bei mir besonders ein Satz hängen geblieben: die Aufforderung „zu Bitten und Gebeten, zu Fürbitte und Danksagung …, und zwar für alle Menschen.

Das hat mich beschäftigt. Zuerst war ich irritiert. Beten für alle Menschen, das geht ja noch. Schlimmstenfalls, wenn ich eine Person gar nicht akzeptieren kann, bete ich eben dafür, dass sie endlich einsieht, wie verbohrt sie ist, oder dass sie sich endlich ändert. Aber die Forderung, für alle Menschen zu danken, die ist genauer betrachtet eigentlich eine Zumutung. Für Gegner, Feinde, böse Menschen, die einem das Leben schwer machen, für die soll man auch noch Danke sagen?

Elisabeth Birnbaum
ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Erkenntnis der Wahrheit

Und dann habe ich mich gefragt: Warum werden die Herrscher und die Mächtigen noch einmal extra erwähnt? Gehören sie nicht zu allen Menschen? Offenbar war es nicht ganz selbstverständlich, sie bei „allen Menschen“ mitzudenken. Das leuchtet mir im Licht der Geschichte ein: Die Herrschenden, das waren in den ersten Jahrhunderten nach Christus die Kaiser, die Christen verfolgten, die Tetrarchen und sonstigen Mächtigen, die für die christlichen Gemeinden nichts übrig hatten. Vielleicht dachte man an sie gar nicht als „Menschen“.

Es leuchtet mir auch im Licht unserer Gegenwart ein: „Die da oben“ werden Mächtige gerne genannt. Manchmal benehmen sie sich auch so, als hätten sie nichts mit uns zu tun, als wären sie völlig andere Wesen. Und als gingen sie die Ängste und Sorgen, die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen nichts an. Für Machthabende soll also auch gebetet und gedankt werden. Das ist fast noch schwieriger: Machthabende, die Entscheidungen treffen, unter denen viele Menschen leiden müssen. Politiker, die sorglos mit ihrer Verantwortung umgehen, und im Wahlkampf Dinge sagen, die sie selbst nicht ernst nehmen und nach der Wahl nicht mehr wissen. Dafür zu danken, gebe ich zu, das fällt mir nicht leicht.

Lebenskunst
Sonntag, 22.9.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Zum Nachdenken gebracht hat mich dann die Begründung, warum das Beten und das Danken für die Mächtigen so wichtig ist: damit wir in aller Frömmigkeit und Rechtschaffenheit ungestört und ruhig leben können, so heißt es im Bibeltext. Zuerst habe ich gedacht: Was bedeutet das? Ist das eine pragmatische Aussage? Wenn ich nett bin zu denen da oben, dann lassen sie mich in Ruhe? Oder wenn ich gar nicht erst auffalle, dann übersehen sie mich? Aber im nächsten Satz steht, dass Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Also geht es offenbar doch um etwas anderes.

Verantwortung für die Mächtigen

Und da ist in mir eine Ahnung entstanden, wie ich den Text verstehen könnte. Vielleicht so: Wenn ich das tue, was gut ist, egal, ob es der andere verdient hat oder nicht, dann habe ich mir nichts vorzuwerfen, dann lebe ich im Einklang mit mir und Gott, dann kann ich ungestört und ruhig leben. Ich soll also um meinetwillen bitten und danken.

Und zuletzt drehe ich den Gedanken um: Vielleicht sollte ich selber zur Einsicht gelangen? Vielleicht ist gerade diese Haltung, dass die da oben sowieso nichts mit mir zu tun haben und unverbesserlich sind, die falsche? Vielleicht will der Gott, an den ich als großes Gegenüber glaube, von mir die Einsicht, dass Herrschende und andere Menschen eine Einheit sind. Und dass ich zwar nicht an der Macht bin, aber mich trotzdem nicht zurücklehnen kann oder meine Ohnmacht beklagen muss. Dass ich im Gegenteil endlich begreife, dass ich für die Mächtigen eine Verantwortung habe. Dass ich etwas tun muss und kann.

Diese Einsicht hat mich aus meiner Bequemlichkeit gerüttelt. Und ich habe mir vorgenommen, heute im Gottesdienst meine Verantwortung wahrzunehmen und für unsere Politikerinnen und Politiker zu beten und zu danken. Und nächsten Sonntag ebenso verantwortungsvoll zur Wahl zu gehen.