Begegnungen oder: Dich schickt der Himmel

Sehr jung, groß und dunkelhaarig ist er gewesen. „Das ist euer neuer Lehrer“, hat die Direktorin der Volksschule in Hernals gesagt. Ich bin damals 9 Jahre alt gewesen und, wie man heute sagt, ein Kind mit Migrationshintergrund. Geboren in der Tschechoslowakei. Aufgewachsen in Israel.

Gedanken für den Tag 23.9.2019 zum Nachhören (bis 22.9.2020):

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Ich konnte Deutsch zwar sprechen, aber nicht gut lesen und schreiben. Für den Volksschullehrer ist das kein Problem gewesen. Für mich schon. Ein sehr großes sogar. Ich habe mich vor jeder Schularbeit gefürchtet. Als wir eines Tages einen Ferientag beschreiben mussten, habe ich schon das Ärgste befürchtet. Mit Recht. Mein Heft hat ausgesehen wie ein rotes Meer. Doch was ist darunter gestanden? „Sehr gut, gute Gedanken.“ Zum Vater hat der Lehrer gesagt: „Schicken Sie sie ins Gymnasium. Sie ist intelligent.“ Das hat ein wenig meine Angst genommen. Viel später ist mir klar geworden, dass er damit Vertrauen in mich gesetzt und mich sehr ermutigt hat. Auch sein Zeugnis ist ein Vertrauensvorschuss gewesen. Lauter „Sehr Gut“ und „Gut“.

Susanne Eiselt
ist PR-Beraterin und freie Autorin

Dem Volksschullehrer danken

Acht Jahre später habe ich im Gymnasium Zirkusgasse maturiert und 12 später konnte ich auch mein Studium der Publizistik und Kommunikationswissenschaft abschließen. Bei der Promotionsfeier hat der Dekan zu uns gesagt: „Heute danken Sie Ihren Volksschullehrern.“

Erst nach einigen Jahren bin ich auf die Suche gegangen. Der Volksschullehrer war schon in Pension, und hat nicht mehr in Wien gewohnt. Wir haben uns in einem Kaffeehaus auf der Mariahilferstraße verabredet. Das Wiedersehen ist ein sehr bewegender Moment für uns beide geworden, denn ich hab mich bei ihm nach so vielen Jahren endlich mit einem Geschenk bedanken können. Ich habe ihm die Kopie seines Zeugnisses aus dem Jahr 1968 und die Kopie des Promotionszeugnisses, das ich 20 Jahre später von der Uni Wien erhalten habe, übergeben.

Musik:

Ricardo Requejo/Klavier und Ingo Goritzki/Oboe: „Einfach, innig“ aus: Drei Romanzen für Oboe und Klavier op. 94 von Robert Schumann
Label: Claves 508201