Bibelessay zu 1 Johannesbrief 3,1-3

Allerheiligen: Wenn ich an meine Kindheit denke, erinnere ich mich an Friedhofsbesuche in der Dämmerung, an Nebel und krächzende Krähen, an rot leuchtende Kerzen und eine eigenartig gedämpfte Stimmung und stille Traurigkeit. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, dass dieses Fest auch ein Fest der Hoffnung ist.

Denn zu Allerheiligen erinnern sich katholische Christinnen und Christen zwar an die Vergänglichkeit des irdischen Lebens, aber auch an all die vielen bekannten und unbekannten Heiligen, die ihnen im Tod schon vorausgegangen und bei Gott angekommen sind. Diese Heimkehr zu Gott aber ist allen Gläubigen - auch mir - zugesagt. Denn als Getaufte gehören sie alle, gehöre auch ich bereits jetzt zur Gemeinschaft der Heiligen.

Regina Polak
ist katholische Theologin und Religionssoziologin

Liebe reicht über den Tod hinaus

Auch wenn niemand – nicht einmal Theologinnen und Theologen – genau beschreiben kann, wie diese Heimkehr zu Gott dann konkret aussehen wird, so bezeugen viele biblische Texte des Neuen Testaments, dass jene, die ihr Vertrauen auf Gott setzen, darauf hoffen dürfen, nach dem Tod von Gott in all ihrer Endlichkeit und Fehlerhaftigkeit angenommen und ganz geheilt, und damit geheiligt sein werden. Der christliche Glaube nennt dies: von Gott verherrlicht werden. So wie auch Jesus von Nazareth durch die Auferstehung von Gott verherrlicht worden ist. Was für eine große Hoffnung!

Im ersten Johannesbrief, der in den katholischen Gottesdiensten zu Allerheiligen gelesen wird, kommt diese Hoffnung auf für mich berührende Weise zum Ausdruck. Da ist von der Liebe Gottes die Rede, die allen Menschen heute schon von Gott geschenkt ist und die sie einander schenken können, gleichsam als „Anzahlung“, als „Beleg“, als „Vorbotin“ dieser Hoffnung. Denn wer einen anderen Menschen liebt, oder von ihm geliebt wird, der hat vielleicht die Erfahrung gemacht: Meine Liebe kann einen anderen Menschen verwandeln, die Liebe eines Menschen kann mich verwandeln. Vielleicht hat manche, mancher sogar erlebt, dass die Liebe so stark wie der Tod ist, und der Tod der Liebe nichts anhaben kann, ja sogar über den Tod hinausreicht. Wenn sogar menschliche Liebe eine solche Kraft haben kann, wie sehr muss dann die Liebe Gottes mich verwandeln können! So sehr, dass der Autor des ersten Johannesbriefes sogar weiß, dass hoffende Menschen Christus selbst ähnlich sein werden. Was für eine Zusage!

Sonne der Gerechtigkeit

Freilich weiß der Autor dieses Briefes aber auch, dass die Erfüllung dieser großen Hoffnungen noch vor den Menschen liegt. Denn Menschen und ihre Liebesfähigkeit sind begrenzt und fehlerhaft. Daher schreibt er, dass „noch nicht offenbar geworden ist, was wir sein werden“.

Lebenskunst
Freitag, 1.11.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Die große evangelische Theologin Dorothee Sölle hat aus diesem Bibelvers einen meditativ-prophetischen Text gemacht. Auch dieser Text geht mir sehr nahe, weil er die Erfahrung der Liebe nicht nur auf persönliche, sondern auch auf politische Verhältnisse bezieht. Denn auch diese oft katastrophalen Verhältnisse sollen durch Gott am Ende verwandelt werden, nach ihrem Ende, um die Opfer nicht zu vergessen, - aber auch schon heute. Auch darauf hoffe ich zu Allerheiligen, wenn ich auf den Friedhof gehe und nun gar nicht mehr so traurig die roten Kerzen entzünde.

„Und ist noch nicht erschienen was wir sein werden
O Gott die du uns besser kennst, als wir uns selber kennen
Wann müssen wir unser Gesicht nicht mehr verstecken
vor den verhungernden
Wann wird man an unseren Handelsbeziehungen sehen
hier wohnen die neuen Menschen, die schwesterlichen
Wann wird die Sonne der Gerechtigkeit über uns aufgehen
- Gott“
(Dorothee Sölle)