Imre Kertész zum 90. Geburtstag

„Seit Auschwitz ist nichts geschehen, was Auschwitz aufgehoben, was Auschwitz widerlegt hätte. Der Holocaust konnte in meinem Werk niemals in der Vergangenheitsform erscheinen“, bemerkt der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész in seiner Rede bei der Preisverleihung im Jahre 2002.

Gedanken für den Tag 9.11.2019 zum Nachhören (bis 8.11.2020):

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„Ich habe im Holocaust“, so fährt er fort, „die Situation des Menschen erkannt, die Endstation des großen Abenteuers, an der der europäische Mensch nach zweitausend Jahren ethischer und moralischer Kultur angekommen ist.“ Nach Kertész „bleibt uns jetzt zu überlegen, wie wir von hieraus weiterfinden.“ Denn das Problem Auschwitz besteht für ihn „nicht darin, … ob wir es im Gedächtnis bewahren sollten oder in der entsprechenden Schublade der Geschichte versenken... Das wirkliche Problem Auschwitz besteht darin, dass es geschehen ist und dass wir an dieser Tatsache mit dem besten, aber auch mit dem schlechtesten Willen nichts ändern können.“

Martin Jäggle
ist katholischer Theologe und Präsident des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Medium des Geistes von Auschwitz

Was der 15-jährige Kertész in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald erfahren und erlitten hat, machte der Shoah-Überlebende zur Grundlage seines Werkes. „Auch wenn ich von etwas ganz anderem spreche, spreche ich von Auschwitz. Ich bin ein Medium des Geistes von Auschwitz“, heißt es in seinem Roman „Fiasko“. Kertész wurde für sein Werk ausgezeichnet, „das die zerbrechliche Erfahrung des Einzelnen gegenüber der barbarischen Willkür der Geschichte behauptet“.

Er, der nie ein Kind wollte, um ihm sein eigenes Schicksal zu ersparen, schreibt in seinem Roman „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“: „Wenn ich schreibe, erinnere ich mich, muss ich mich erinnern, auch wenn ich nicht weiß, warum ich mich erinnern muss, es hängt offensichtlich mit dem Wissen zusammen, Erinnerung ist Wissen, wir leben, um uns an dieses unser Wissen zu erinnern, weil wir nicht vergessen können, was wir wissen.“

Heute, am 9. November, wäre Imre Kertész 90 Jahre alt geworden.

Musik:

„Remember Me - When I Am Laid in Earth“ aus „Dido und Aeneas“ von Nic Raine und James Fitzpatrick
Label: Bruton Music BR 515