Bibelessay zu Lukas 20,27-38

Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium, der an diesem Sonntag in den katholischen Gottesdiensten verkündet wird, redet meiner Wahrnehmung nach vom Eigentlichen: über das Leben bei Gott. Dabei geht es nicht um ein Leben in gepackten Koffern mit einer Lebensversicherung - mir wird vielmehr bewusst: Mein Leben bleibt riskant.

Daran denke ich besonders, wenn ich an diesen schmalen, von Nebel verhüllten Tagen auf den Friedhof gehe. Es brennen viele Kerzen, ein Licht für jeden, ebenso hell und ebenso schnell verloschen wie ein ganzes Leben, und nur auf den Gräbern der Toten, an die keiner denkt, gibt es eine kleine, einsame Dunkelheit.

P. Karl Schauer
ist Bischofsvikar in der Diözese Eisenstadt

Verdichtete Orte

Dann ahne ich: Er, dieser Gott durchbricht auch diese Dunkelheit, die Vergessenen und das Vergessen. Das ist keine billige Vertröstung! Gott lässt sich nicht instrumentalisieren. ER IST DAS LEBEN! Er ist und bleibt ein Gott von Lebenden und nicht von Toten! Denn was in meinen Augen tot scheint, ausgemerzt ist, ist für Gott nicht vergessen und nicht verblasst. Wer Auferstehung sagt, Gott zutraut, dass er mit uns eine grenzenlose Geschichte schreibt, wer diesem Gott Jesu Christi abnimmt, dass er mit seiner Auferstehung die geschundene Wirklichkeit des Lebens in einen österlichen Horizont hinein aufbricht, nimmt Gott ernst.

Deshalb liebe ich Friedhöfe und die Geschichten, die mit ihnen kommen. Es sind verdichtete Orte, an denen die Toten, aber auch die Lebenden zur Ruhe kommen können. Auf Friedhöfen bin ich eigentlich nie einsam.

In diesen Wochen zwischen Allerheiligen, Allerseelen und Advent sind mir diese großen Fragen noch bewusster. Als Christ weigere ich mich entschieden, mich damit abzufinden, dass über kurz oder lang, was mein Leben betrifft, das schon alles gewesen sein soll. Ich weigere mich dagegen, dass die Toten in alle Ewigkeit tot bleiben, die Besiegten besiegt und die Durchgekommenen und Erfolgreichen in alle Ewigkeit oben bleiben. Ich weigere mich dagegen, die Telefonnummern meiner Verlorenen zu löschen, sie stehen im Namensverzeichnis zwischen den Lebenden, als könnte ich sie jederzeit anrufen - und ich vertraue darauf, dass der Gott des Lebens sie ruft.

Gott der Lebenden

In den letzten Jahren sind einige Menschen meines Lebens gestorben, mehr als einer zu früh. In meiner Traurigkeit weiß ich mich getragen von der Hoffnung, dass Gott das Unvollendete zur Vollendung führt. Diese Hoffnung lass ich mir nicht nehmen. Ich weiß, dass dieser Glaubenshorizont, der mir geschenkt wurde, brüchig und immer angefochten bleibt, aber letztlich traue ich diesem Gott der Menschen zu, dass er den Besiegten, Verlorenen und Toten, Frieden, Heil, Versöhnung und Gerechtigkeit schenken kann.

Lebenskunst
Sonntag, 10.11.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Manche Leute sagen, die beste Vorbereitung auf das Sterben sei das Leben. Eines, das man herz- und fehlerhaft lebt, aber nie halb. Eines, in dem ich die Endlichkeit ernst nehme, das Unversuchte nicht unversucht lasse, um alle Narben weiß, und liebe, als hätte ich sie nicht. Eines, in dem ich hungrig bleibe, widerborstig das Unmögliche hege und pflege und in all meiner Endlichkeit das Unendliche schon erahne.

Ich gehe gerne auf Friedhöfe, sie sind nicht nur die Visitenkarte der Lebenden. Dort sind Sterben und Leben, Zukunft und Vergangenes, Gott und der Mensch ganz nahe. Und den Glauben, dass Er der Gott der Lebenden und nicht der Toten ist, lass ich mir an diesen heiligen Orten nicht nehmen!