Bibelessay zu Römerbrief 13,8-12

Endlich brennt die erste Kerze am Adventkranz. Der trübe November hat sein Ende gefunden. Es mag erscheinen, als ob eine neue Zeit beginnt. Für den Apostel Paulus ist auf jeden Fall eine neue Zeit angebrochen. Was hinter ihm liegt, liegt im Dunkel, er spricht von „Finsternis“. Für das, was auf ihn und die Menschen zukommt, wählt er die Worte „Licht und Liebe“.

Advent zeigt auf Weihnachten, viele Menschen bereiten sich vor und stimmen sich mehr und mehr ein. Sie zählen die Wochen, bis es endlich soweit ist. Nicht umsonst beginnt heute auch ein neues Kirchenjahr. Der Blick geht nicht zurück, sondern weist nach vorne: Ab heute zählen nicht nur Kinder die letzten 24 Tage herunter bis Weihnachten.

Marco Uschmann
ist evangelischer Theologe und Chefredakteur der Zeitschrift „Die Saat“

„Waffen des Lichts“

Hier hinein ruft der Apostel Paulus eine neue Zeit aus, eine Zeit, in der alles stimmt, in der sich alle wohlfühlen und Gott regiert. Paulus sagt: Noch ist es nicht soweit, aber bald. Dann werden eure Hoffnungen erfüllt, eure Sehnsucht gestillt sein. Er nennt es: in der umfassendes Heil und die Liebe herrschen werden.

Das alles klingt nach Advent, denn Advent heißt ja „Ankunft“. Paulus fordert, die „Waffen des Lichts“ anzulegen. Heute würde er vielleicht sagen: Holt euch Licht in die Häuser, in die Gassen, ins Leben. Für Gläubige heißt das: Gottes Licht. So, wie es Menschen tun, wenn sie einen Adventkranz ins Wohnzimmer stellen. Mit dem Original-Adventkranz hat es eine besondere Bewandtnis. Denn er brachte Gottes Licht ins Leben. In Form von neuen Zukunftsperspektiven:

Tage zählen mit dem Adventkranz

Erfunden wurde der Adventkranz 1839 von dem evangelischen Pfarrer und Gründer der Hilfsorganisation Diakonie Johann Hinrich Wichern. Der Hamburger Theologe nahm sich 1833 einiger Kinder an, die in großer Armut lebten. Er gründete das so genannte Rauhe Haus, ein altes Bauernhaus, wo diese Kinder professionell betreut wurden. Wie das bei Kindern so ist, fragten auch sie ständig, wie lange es noch dauere bis Weihnachten, wann es denn endlich soweit sei und überhaupt, wann denn endlich Weihnachten sei. Schließlich hatte Pfarrer Wichern eine geniale Idee: Er setzte auf ein altes Wagenrad für jeden Tag im Advent eine kleine rote und für jeden Adventsonntag eine große weiße Kerze zum Anzünden. So dass die Kinder die Tage bis Weihnachten abzählen konnten. Dieser Original-Adventkranz hat jedes Jahr unterschiedlich viele Kerzen. Heuer sind es 24 Kerzen – 20 kleine und vier große. Dieser besondere Adventkranz der Diakonie findet sich etwa auf dem Wiener Christkindlmarkt vor dem Rathaus oder in Klagenfurt. Eines aber eint alle Adventkränze: Sie weisen hin auf Weihnachten und zählen die Zeit bis zum großen Fest.

Lebenskunst
Sonntag, 1.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Paulus malt eine heile Welt. Es wird eine Zeit kommen, in der alles so ist, wie seine Leser und Leserinnen es sich erträumen, schreibt er. Das klingt nach Vertröstung. Im Grunde, so scheint es, brauchen die Menschen nichts anderes tun, als zu warten. Denn das Heil rückt näher - so wie es sich heute mit dem Advent auch verhält. Das stimmt einerseits natürlich und andererseits stimmt das überhaupt nicht. Denn dass der Advent diese gleichsam verzauberte Zeit ist, liegt ja an den Menschen, die ihre Häuser schmücken, ihre Kirchen schmücken, die Adventkränze herrichten und die Kerzen anzünden. Was wäre Advent ohne die Menschen, die füreinander Kerzen entzünden? Der Advent würde einfach nicht stattfinden – die Zeit bliebe grau und trüb, so wie es der November für die meisten Menschen ist.

Der Mensch hat das Seine beizutragen

Jetzt ziehe ich den Bogen weiter: Was wäre die Welt ohne die Menschen, die das leben, wovon Paulus schreibt? Die sich der Menschen annehmen, die Hilfe brauchen? Was wäre die Welt ohne die Menschen, die von Gottes Güte reden, sich vom Beispiel des Jesus von Nazareth leiten lassen und gleichsam seine Hände und Füße werden? Und zwar nicht nur im Advent, sondern an allen Tagen? Die Rede von Gottes Güte wäre Geschwätz, die Rede von Diakonie, von Nächstenliebe wären Phrasen. Freilich, der Impuls und der Grund liegen bei Gott, aber ohne die Menschen geht es nicht.

Paulus spricht von der Zukunft, in der Liebe herrscht und die Gerechtigkeit und gutes Leben bringt. Auch der erste Adventsonntag spricht von der Zukunft, wenn Weihnachten naht und damit die Erinnerung, dass Gott Mensch geworden ist. Und so wie für Paulus die Zeit des Heils anbricht, bricht mit Weihnachten die Zeit des Heils an. Paulus verspricht den Menschen all das, was sie sich erträumen. Das hat für mich nichts mit Vertrösten zu tun, sondern damit, dass mit Gott all das möglich ist. Die Menschen sind angehalten, das Ihre dazu beizutragen.