Gabriels Auftrag – seine mission impossible

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 1: Wenn es in der Bibel ernst wird, treten häufig Engel auf den Plan. Die bekannteste Szene dafür ist die Verheißung der Geburt Jesu im ersten Kapitel des Lukasevangeliums.

Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als dass eine junge Frau ein Kind bekommen wird. Ein Kind, das nicht geplant war. Ein Kind, das nicht von ihrem Verlobten Josef stammt. Ein Kind, das ihren gesamten Lebensentwurf durchkreuzt. Das größte Unglück, das Maria sich je hätte ausdenken können. Dieses Kind zieht ihr den Boden unter den Füßen weg.

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Gabriel hat es schwer

Der Evangelist Lukas meint: Da kann nur ein Engel helfen. Und selbst der hat es schwer. Der staunende Besucher kann das sehr schön in den Uffizien in Florenz sehen. Dort gibt es die unterschiedlichsten Darstellungen der Verkündigung. Jedes Mal versucht der Engel Gabriel sich auf eine andere Art und Weise an die Adressatin seiner ungeheuren Botschaft heranzutasten. Er muss dieser Frau, die sich von ihrem Schicksal total vor den Kopf gestoßen fühlt, eine Brücke bauen. Zumindest, dass sie Ja sagt, wenn sie auch nicht begreifen kann, was das alles soll.

Die Gemälde von Sandro Botticelli, Lorenzo di Credi und Alessio Baldovinetti geben ein beredtes Zeugnis von der Dramatik dieser Begegnung. Es liegt eine extreme Spannung in dem Dialog, der sich zwischen dem jünglingshaften Engel und der Jungfrau Maria entwickelt. Bei Botticelli versucht der Engel den Bann dadurch zu brechen, dass er sich sehr behutsam annähert. Der Bote kniet nieder, er duckt sich beinahe, seine rechte Hand und der Blick signalisieren höchsten Respekt. Er will gleichsam Entwarnung geben, als wollte er sagen: Langsam Maria, ich erzähle dir alles ganz genau von vorn, ich bemühe mich und erkläre es dir, so gut es geht. Weise mich nicht sofort ab, sage nicht auf der Stelle Nein!

Der Abstand beinahe unüberwindbar

Ganz anders bei Lorenzo di Credi. Da ist der Abstand des Engels zu Maria viel größer, anständiger, beinahe unüberwindbar. Maria selbst ist weit an den rechten Bildrand gerückt und wendet sich halb ab. Sie ist schon fast beim Weggehen. Sie lässt dem Engel keine Zeit. Sie will diese peinliche Situation so rasch wie möglich bereinigen und den ungebetenen Gast loswerden. Aber dann verlegt Gabriel sich aufs Bitten: Maria, hör mir zu, die Sache ist einfach zu wichtig. Nicht nur für dich und dein Volk, sondern für alle, für die ganze Menschheit.

Lebenskunst
Sonntag, 1.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Alessio Baldovinetti setzt den Engel und Maria mit einem besonders großen Abstand ins Bild. Er verwendet dazu ein gängiges Stilmittel: zwei Säulen eines Portals schneiden das Bild mitten entzwei. Der herbeieilende Engel schreckt wie vor einer unsichtbaren Wand zurück. Der Erfolg scheint ihm aber sicher: Sein eigener Gesichtsausdruck lässt Zuversicht erkennen. Maria signalisiert mit gesenktem Blick ihr Einverständnis.

Ein einzigartiger Versuch

Die junge Frau aus Nazareth fügt sich in das Unabwendbare. Sie erkennt, dass dieser Kelch nicht an ihr vorübergehen wird. Aber sie hat nicht die geringste Ahnung, wie es jetzt weitergehen soll: Mit ihr und mit Josef. Mit dem Zimmermann, den sie demnächst heiraten wollte. Als ihren ersten und einzigen Mann. Klar ist für Maria nur, dass sie dieses Kind annimmt. Es ist ein Sohn Gottes. Weil jedes Kind Sohn oder Tochter Gottes ist. Dieses Kind soll das Leben haben, und es in Fülle haben. Jedenfalls soweit es an ihr liegt.

Vielleicht ist Kinder bekommen auch nur so möglich: ohne großen Plan, ohne große Erwartungen. Einfach aus dem Gefühl heraus, dass das Leben weiter gehen soll und darf. Weil jedes Kind ein einzigartiger Versuch ist, das Beste aus diesem Leben zu machen.