Iphigenie

Windstille im Hafen von Aulis. Dort liegen die Schiffe der versammelten griechischen Kriegsherren. Tagelang. Kampflüstern und beutegierig indes die Soldaten, es drängt sie nach Troja. Das weitere ist ja bekannt.

Gedanken für den Tag 12.12.2019 zum Nachhören (bis 11.12.2020):

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Doch jetzt liegen lahm und unheilgeschwängert die Winde. Aufruhr gegen den Anführer der Flotte, Schluss jetzt mit Stillstand, Sättigung und Langeweile. Der Oberbefehlshaber Agamemnon, so erfuhr man aus Sehermund, der hatte nämlich vergessen, seine Vergehen gegen die göttliche Artemis rechtzeitig zu sühnen. Jetzt endlich will sie, die Göttin, den Opfertod Ipigeniens, seiner Tochter. Dann mögen sich wieder die Segel blähen im Wind auf der Fahrt in den Krieg.

Hubert Gaisbauer
ist Publizist und Autor

Artemis wird weich

Groß erhebt sich die Frage: Was ist ein Feldherr bereit, für Krieg und Sieg zu opfern? Iphigenie ist ein Mädchen und von sanftem Charakter. Sie liebt ihren Vater – und der Vater liebt sie. Doch die Staatsräson setzt sich durch. Mit List wird Ipigenie aus Mykene herbeigelockt, vorgeblich soll sie dem Helden Achill vermählt werden, bis sie erkennt: Sie muss sterben. Als wärs eines Lammes Tod. Schutzflehend wirft sie sich vor den Vater mit den berührenden Worten: „All meine Kunst besteht in Tränen, …nicht opfere meine Blüte, denn wie gern schau ich das Licht! Nicht stoße mich in finstre Nacht hinab!“

Trotz besserer Einsicht entscheidet sich Agamemnon für die Tötung seines Kindes als Opfertier, als gäbe es eine Pflicht des Menschen zur Unmenschlichkeit. Aus Feigheit und Furcht vor dem Pöbel des ungeduldigen Heers handelt er, aus Furcht vor dem Zurück. Und um den geliebten Vater nicht dastehen zu lassen als das, was er ist: ein Unmensch, schmückt Iphigenie die Zustimmung zu ihrem Tod mit dem Eichenlaub des Patriotismus. Da wird sogar die unerbittliche Artemis weich. Sie schickt eine rettende Wolke, nimmt die Tochter hinweg und Agamemnon trifft mit dem tödlichen Stoß nur eine Hirschkuh.

Musik:

Rahsaan Roland Kirk/Saxophon, Richard Wyands/Piano, Art Davis/Bass und Charli Persip/Drums: „The haunted melody“ von Rahsaan Roland Kirk
Label: Verve 5220622