Josefs Traum – ein Mann läuft nicht weg

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 4: Wie schon bei Maria lässt Lukas in seinem Evangelium auch bei Josef einen Engel auftreten, um das unmöglich Scheinende möglich zu machen. In diesem Fall erscheint der Bote aus einer anderen Welt im Traum.

Es ist ja nicht erst eine Erkenntnis der Psychoanalyse, dass Träume eine Bedeutung haben. Auch die Bibel weiß davon, und schon für die alten Ägypter waren Träume eine Möglichkeit, am Jenseitigen Anteil zu haben, an einer Welt, die über alles Sichtbare hinausgeht.

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Josef hatte sich entschieden

Josefs Traum war für den Zimmermann aus Nazareth eine extreme Herausforderung. Der Evangelist Matthäus schildert die Ausgangslage dramatisch: „Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen.“

Josef hatte sich entschieden. Er wollte Maria nichts Böses. Aber mit ihr leben, mit dem Kind, das nicht von ihm war? Nein, das konnte niemand von ihm verlangen. Er hätte seine Verlobte jetzt öffentlich als Sünderin anprangern können. Aber so ist dieser Josef nicht gestrickt gewesen. Er hat Maria von Herzen geliebt. Diese Liebe war jetzt gebrochen, aber tot war sie nicht. Nein, er wollte Maria kein zusätzliches Leid antun. Es würde für sie ohnehin hart genug werden, wenn sie hochschwanger durch Nazaret gehen musste, durch dieses Nest. „Ausgerechnet die!“, werden die Dorftratschen sich ereifern. Sie hatten ja schon immer gewusst, was das für eine war, diese Frömmlerin!

„Josef & Sohn“

Josef wollte die Angelegenheit mit Anstand über die Bühne bringen. Eine Trennung auf Augenhöhe. Niemand sollte unnötig darunter leiden, vor allem nicht das Kind, das schon gar nichts dafür konnte. Aber jetzt kam ihm da plötzlich dieser Traum dazwischen. Dieser fremdartige Bote, der ihm gesagt oder genau genommen ihn angewiesen hat, Maria zu sich zu nehmen. Mit einer Begründung, die nicht Hand und Fuß hatte: Das Kind sei von heiligem, göttlichen Geist. Was immer das heißen sollte.

Lebenskunst
Sonntag, 22.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Die Botschaft hör ich wohl, dachte Josef, allein mir fehlt der Glaube. Es war wie immer, wenn er in der Bibel vorkam. Er, Josef, hatte keine glorreiche Rolle. Er stand meistens irgendwie daneben. Sogar dort, wo er – was jeder Mann verstehen wird – am liebsten dabei gewesen wäre: bei der Zeugung seines Sohnes. Konnte wirklich jemand von ihm erwarten, dieses fremde Kind anzunehmen?

Nein, freuen konnte er sich – noch – nicht. Andererseits: Je öfter Josef über seinen Traum nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass dieses Kind nun einmal da war. Es brauchte einen Vater. Vielleicht würde sich der Knabe sogar in der Werkstatt bewähren und ihm ans Herz wachsen. Vielleicht würde der kleine Gewerbebetrieb einmal „Josef & Sohn“ heißen. Vielleicht sollten sich seine Träume vom gemeinsamen Leben mit Maria doch noch erfüllen – wenn dieses Kind erst einmal gesund und geborgen zur Welt gekommen war.

Josef hat sich seinen Traum zu Herzen genommen

Langsam aber sicher hat er begonnen, dem Glück zu trauen. Er wollte Maria nehmen, wie sie war und wie er sie lieb gewonnen hatte: herausfordernd, betörend und unergründlich – das Kind, das ihm noch fremd war, inklusive. „Und er nahm seine Frau zu sich“, schreibt Matthäus.

Josef ist nicht davongelaufen. Er hat angesichts der unerwarteten Schwangerschaft seiner Verlobten nicht das Weite gesucht – und ist damit zu einem menschlich leuchtenden Vorbild für viele geworden. Zum Vorbild für Männer, die ihre schwangere Frau nicht sitzenlassen. Zum Vorbild für Männer, die in einer Patchworkfamilie jedes Kind mit der gleichen Zuneigung in das Leben begleiten, als wäre es ihr eigenes. Zum Vorbild für Männer, die zu ihrem Vatersein stehen.