Die „heilige“ Familie – oder wie das Jesuskind sich emanzipiert hat

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 7: Die sogenannten Kindheitsgeschichten im Evangelium des Lukas enden mit dem Gang von Maria und Josef in den Tempel. Dort bringen sie für ihren Erstgeborenen das Opfer dar, das ihre Religion vorsieht.

Dann setzt Lukas fort: „Als seine Eltern alles getan hatten, was das Gesetz des Herrn vorschreibt, kehrten sie nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret zurück. Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit und seine Gnade ruhte auf ihm.“

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

„Warum habt ihr mich gesucht?“

War also alles eitel Wonne im Hause Josef, Maria und Sohn? Weihnachten for ever, sozusagen? So scheint die traditionelle Vorstellung zu sein. An diesem Sonntag, dem 29. Dezember, feiert die katholische Kirche das Fest der sogenannten „Heiligen Familie“.

Aber reibungslos ist es auch in dieser „Heiligen Familie“ nicht zugegangen. Das jedenfalls zeigt im Evangelium des Lukas jene Erzählung, die direkt auf die Geschichten rund um Betlehem und Weihnachten folgt: Der zwölfjährige Jesus im Tempel. Es heißt, dass der Bub erstmals mit seinen Eltern zum Pessachfest nach Jerusalem mitgehen durfte. Auf dem Rückweg bemerkten Maria und Josef mit Schrecken, dass Jesus nicht dabei war. Nach langer Suche fanden sie ihn im Tempel.

Maria versteht die Welt nicht mehr und sagt das auch sehr deutlich: „Kind, wie konntest du uns das antun? Dein Vater und ich haben dich voll Angst gesucht“. Dann kommt diese harte Antwort, die so gar nicht in das Bild der „Heiligen Familie“ passt. Es ist die typische Antwort eines Pubertierenden: „Warum habt ihr mich gesucht? Wusstet ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“ So ist es bei Lukas nachzulesen.

Der eigene Weg

Spätestens hier erleben Josef und Maria, dass ihr Kind seinen eigenen Weg gehen will und muss. Zunächst lässt Lukas aber seine Erzählung vom zwölfjährigen Jesus im Tempel noch ganz nach dem Bild der „Heiligen Familie“ enden. Er schreibt: „Dann kehrte er mit ihnen nach Nazaret zurück und war ihnen gehorsam.“

Lebenskunst
Sonntag, 29.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Doch vielleicht hat die Mutter ab diesem Zeitpunkt einen anderen Blick auf ihren Sohn gehabt. Hat geahnt, dass Jesus mit seiner schroffen Antwort nicht nur gegen die Autorität seiner Eltern aufbegehren wollte. Da stand mehr dahinter – und das auszudrücken, war wohl auch die Intention des Lukas. Manchmal hat Maria vielleicht zu rätseln begonnen, wo Jesus mit seinen Gedanken war. „Er kann so abwesend wirken, als ob er nicht ganz von dieser Welt wäre“, ist es dann Maria durch den Kopf gegangen. „Als ob er mit seinem ganzen Intellekt und seinem hellwachen Geist daran arbeiteten würde, diese Welt mit all ihrem Streit, ihrer Gewalt und ihren Kriegen auf einen besseren Weg zu bringen.“

Zu Weihnachten begonnen, zu Ostern vollendet

Womöglich ist es Maria bald klar geworden, dass sie Jesus auf diesem Weg begleiten, ihn aber nicht davon abhalten konnte. Das ist ernst geworden, sobald ihr Sohn als Erwachsener nicht mehr nur im stillen Kämmerlein vor sich hin sinniert hat, sondern öffentlich zu reden begann: Von seinem Vater im Himmel, der ihn gesandt habe, und von einer anderen, menschenwürdigeren Welt. Es kann gut sein, dass Maria mehrere Male Jesus zur Seite genommen und versucht hat, ihm gut zuzureden. Sie hat es versucht mit der Sorge der Mutter, die ihm nicht egal sein konnte. Und sie versuchte es mit der Vernunft, die einem sonnenklar sagte, dass jeder öffentliche Widerstand gegen die römischen Besatzer nicht nur kläglich scheitern musste, sondern den sicheren und grausamen Tod bedeutete.

Aber die Argumente der Mutter haben nicht gezogen. Aus dem Kind, das sie in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt hatte, war ein Wanderprediger mit einem lebensgefährlichen revolutionären Anspruch geworden: Er hat Gottes Willen durchsetzen wollen und zu Umkehr und neuem Leben aufgerufen. Was zu Weihnachten begonnen hat, sollte zu Ostern eine Vollendung finden - und bewegt Menschen bis heute.