Herodes – von politischer Gewalt und der Kraft des Lebens

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 9: Herodes der Große war der von Rom eingesetzte König in Judäa, Galiläa, Samaria und angrenzenden Gebieten. Aber seine Macht stand auf tönernen Füßen. Es war ein ständiges Lavieren zwischen seinen Untertanen und der römischen Staatsmacht.

Einerseits haben rechtgläubige Juden ihn nie ganz als einen von ihnen anerkannt, weil seine Vorfahren Idumäer waren. Andererseits musste er sich den römischen Kaisern gefügig machen, um die Herrschaft in der unruhigen Provinz im Nahen Osten zu behalten. Jeder kleine Aufruhr konnte diese labile Balance seiner Königsherrschaft in Jerusalem aus dem Gleichgewicht bringen.

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Auftrag im Traum

Im Christentum kommt dazu die biblische Erzählung vom Kindermord zu Betlehem. Diese hat über Jahrtausende den extrem schlechten Ruf des Herodes geprägt. In dieser Geschichte wird erzählt, dass Sterndeuter aus dem Osten die Kunde von einem neu geborenen König der Juden nach Jerusalem gebracht hätten. Das habe Herodes wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, so zu lesen bei Matthäus.

Folgt man der Bibel weiter, wollte Herodes dieses Kind lieber heute als morgen eliminieren. Rasch war dafür ein Plan geschmiedet. Der Evangelist Matthäus schildert das so: „Herodes rief die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach, wo das Kind ist; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige.“

Doch dieser Plan ist nicht aufgegangen. Die Sterndeuter hatten einen vertraulichen Hinweis bekommen. Wie so oft im Neuen Testament wurde ihnen in einem Traum ein Auftrag gegeben. Sie sollten nicht mehr nach Jerusalem zurückkehren, sondern eine andere Route zur Heimkehr wählen. Aus der Sicht jenes Herodes, wie ihn die Bibel schildert, hat sich da bereits eine Verschwörung gegen ihn zusammengebraut. Also war er erst recht entschlossen zu handeln. Im Matthäusevangelium steht: „Als Herodes merkte, dass ihn die Sterndeuter getäuscht hatten, wurde er sehr zornig und er ließ in Betlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte.“

Eine Geschichte des Lebens

In den Bibelwissenschaften gibt es heute allerdings eine Tendenz, den Kindermord zu Betlehem nicht als historische Tatsache zu sehen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass der römische Schriftsteller Flavius Josephus, der absolut kein gutes Haar an Herodes lässt, ausgerechnet darüber nichts berichtet. Es gibt daher die Überlegung, diese Erzählung so zu verstehen, wie auch manches andere in den sogenannten Kindheitsgeschichten Jesu: nicht streng historisch, sondern als eine Aussage über die außergewöhnliche Bedeutung dieses Kindes.

Lebenskunst
Sonntag, 5.1.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Damit werden die menschlichen Abgründe einer politischen Herrschaft, die auf Gewalt und Unterdrückung gründet, nicht verharmlost. Der Bibel ist nichts Böses fremd. Es könnte sich aber ein Tor zu einer neuen Interpretation der gesamten Erzählung auftun: Dass es dem Evangelisten Matthäus nicht um den Kindermord zu Betlehem geht, sondern um den Nachweis, dass dieser Mensch Jesus von Nazaret von Anfang an unter einem höheren Schutz gestanden ist. Schon Herodes hat ihm nichts anhaben können. Und am Ende, so glauben es zumindest Christen, hat nicht einmal der Tod Macht über Jesus gehabt.

Diese weihnachtliche Botschaft hat sich wie ein roter Faden durch die menschlichen Begegnungen mit großen Gestalten der Bibel in dieser Reihe gezogen: Mit Jesus hat eine Geschichte des Lebens, nicht des Todes, ihren unaufhaltsamen Anfang genommen. All die Bosheit der Welt kann die Kraft des Lebendigen nicht an seiner Entfaltung hindern.