Weise Seher – was es bringt, die Zeichen der Zeit zu erkennen

Große Gestalten der Bibel – menschlich gesehen, Teil 10: Die sogenannten Weisen aus dem Morgenland waren klassische Wissenschaftler. Ob sie drei waren, ist biblischerseits nicht bekannt, ihre Zahl wird nicht genannt.

Aber sie hatten eine besondere Konstellation von Sternen oder Planeten am Himmel gesehen, und sie hatten dazu eine Theorie. Nur der Beweis fehlte. Den wollten sie jetzt erbringen. Erst vom sechsten Jahrhundert an verbreitete sich unter dem christlichen Volk der fromme Glaube, dass diese Magier Könige waren. Dieser Glaube hat sich auf Psalm 72 gestützt. Dort ist in Vers 11 von einem König die Rede, dem alle anderen Könige huldigen müssen. „Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke, / die Könige von Saba und Seba kommen mit Gaben.“

Josef Bruckmoser
ist katholischer Theologe, Wissenschaftsjournalist und Buchautor

Das Licht aus dem Osten

Tatsächlich sind die Astronomen ihre Suche nach dem Wunderkind sehr profan angegangen. Selbstverständlich haben sie die traditionellen Schriften gekannt, die davon geredet haben, dass das gesuchte Kind eine globale Bedeutung haben würde. Schon indische Epen haben das Kommen eines Erlösers angekündigt, der die Menschen von ihrem Unglück und ihren Nöten befreien sollte. Das werde auch an einem besonderen Phänomen am Himmel sichtbar werden, hieß es.

Diese Erzählungen sind für die Astronomen eine zusätzliche Motivation gewesen, der Sache auf den Grund zu gehen. Aber vorrangig wollten sie den Nachweis erbringen, dass es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem ungewöhnlichen Sternbild und dem ungewöhnlichen Kind gab.

Also machten sie sich auf in den Westen. Wie weit ihr Weg gewesen ist, ist umstritten. Die Herkunft der Weisen oder Magier wird in Babylonien vermutet oder sogar in Indien. So oder so sind sie aus dem Osten gewesen. Man könnte auch sagen, sie waren das Licht, das aus dem Osten kam.

Zeichen der Zeit

Offenbar hatte in der Tempelhierarchie von Jerusalem niemand von Einfluss die Zeichen der Zeit erkannt. Das war nicht das erste Mal und es sollte beileibe nicht das letzte Mal sein, dass manche Vertreter einer Religion für die eigene Weiterentwicklung blind waren. Oft braucht es den Anstoß von außen. Das lässt sich auch an der Geschichte des Christentums ablesen. Die großen Reformbewegungen sind in der Regel nicht vom Zentrum ausgegangen, sondern von der Peripherie.

Lebenskunst
Montag, 6.1.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Das ist unter anderem bei Franz von Assisi so gewesen, der die ursprüngliche Idee der Armut neu belebt hat. Das ist bei Martin Luther so gewesen, der dem Papsttum in Rom den Spiegel vorgehalten hat. Das ist bei Katharina von Siena so gewesen, die Papst Gregor XI. dazu bewogen hat, das unheilvolle Exil der Päpste in Avignon zu beenden. Und das ist auch bei den Bischöfen aus Amazonien so gewesen, die bei ihrer Versammlung im Oktober dieses Jahres in Rom den Boden aufbereitet haben, um dringende Reformen in Gang zu bringen.

Die Weisen ließen sich nicht abschrecken

Alle diese Menschen, die ihre heiligen Schriften, in dem Fall: das Evangelium tiefer verstanden haben, stießen und stoßen auf Unverständnis und Widerstand. Daher überrascht es nicht, dass die weisen Seher mit ihrer Botschaft in Jerusalem nicht gut angekommen sind. Herodes, der König, den sie dort angetroffen haben, ist an nichts anderem interessiert gewesen als an seinem Machterhalt. Was immer auf der Welt passiert ist, hat er durch diese Brille gesehen: Nützt oder schadet es mir? Das Kind, von dessen Geburt die Weisen berichteten, fiel dabei eindeutig auf die negative Seite.

Aber die Weisen haben sich nicht von der Blindheit des Herodes beeindrucken oder gar abschrecken lassen. Sollte dieser König seine Ränke schmieden und seine taktischen Spielchen treiben, sagten sie sich. „Für uns geht es um die Sache, und die ist geklärt, sobald wir das Kind gefunden haben.“

Dieses unbeirrte Dranbleiben an ihrem Vorhaben hat den Weisen ihren Eintrag in die Heilige Schrift des Neuen Testaments gebracht. Ganz unabhängig davon, was historisch dahintersteht oder auch nicht, sind sie zum Vorbild geworden: als Menschen, die sich nicht mit vorläufigen Antworten zufrieden geben; als Menschen, die sich nicht von den Systemerhaltern irritieren und mundtot machen lassen; als Menschen, die mehr sehen und die Zeichen der Zeit erkennen – selbst wenn die Reise dorthin weit und beschwerlich ist.