Bibelessay zu Jesaja 7,10-14

„Siehe, die Jungfrau hat empfangen, sie gebiert einen Sohn und wird ihm den Namen Immanuel geben…“ Rund 2.700 Jahre ist dieser Text alt. Bis in unsere Tage ist er umstritten. Und das hat mit der Übersetzung eines einzigen Wortes zu tun – mehr dazu später.

Zunächst zum geschichtlichen Umfeld, in dem der Text entstanden ist. Gegen Ende des 8. Jahrhunderts vor Christus bedrängen Syrien und Israel das südlich gelegene Reich Juda, sich dem Aufstand gegen das mächtige neu-assyrische Reich anzuschließen. Der judäische König Ahas ist in einer Zwickmühle: Was soll er tun? Mit Syrien und Israel gemeinsame Sache machen? Das hätte die Feindschaft der Assyrer zur Folge. Sich dem Bund gegen Assur verweigern? Das brächte Syrien und Israel gegen Juda auf.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Publizist

Streit um ein einziges Wort

Ein Mann tritt entschieden gegen das Bündnis auf: Jesaja, auf Hebräisch Jeschajahu. Der Name ist Programm und bedeutet auf Deutsch „Gott rettet“. Jesaja, der Prophet, spricht ein Trostwort aus: Die junge Frau, die Königin, wird einen Sohn zur Welt bringen. In dessen Person wird das Rettungsprogramm Gottes fortgeführt. Immanuel soll das Kind heißen, „Gott mit uns“.

Der Streit geht um ein einziges Wort. Im hebräischen Original steht es genau so: Die junge Frau hat ein Kind empfangen. „Alma“ steht da, und dieses Wort heißt „junge Frau“. In der seit 2016 verwendeten Einheitsübersetzung der Bibel steht das Wort „Jungfrau“. In der Fußnote dazu heißt es allerdings: „Das hebräische Wort alma bedeutet eigentlich junge Frau“. Leserinnen und Leser von heute fragen sich da vielleicht, warum „alma“ mit „Jungfrau“ übersetzt wird, wenn das Wort „eigentlich junge Frau“ bedeutet.

Voraussagen auf Jesus

Nun, das hat eine lange Geschichte. Sie hängt zum einen damit zusammen, dass im Christentum schon sehr früh die Hebräische Bibel mit Blick auf Jesus gedeutet wurde. Die Worte der Propheten wurden nicht als Kommentare zum Geschehen ihrer Zeit wahrgenommen, sondern als Voraussagen, als Prophezeiungen auf Jesus hin. Das Jesaja-Wort wurde als Vorhersage der jungfräulichen Geburt Jesu aus Maria verstanden; die Geburt aus der Jungfrau galt als Beweis für Jesu Gottes-Sohnschaft.

Lebenskunst
Sonntag, 22.12.2019, 7.05 Uhr, Ö1

Im Jahr 165 starb in Rom ein gewisser Justinos den Märtyrertod. Er vertrat gegenüber den Juden den Anspruch einer allein christlichen Wahrheit. In seinem Werk „Dialog mit dem Juden Tryphon“ verteidigt er vehement das Wort von der Jungfrau in dem eben gehörten Jesaja-Text. Er tut dies unter Hinweis auf die griechische Übersetzung von Teilen der Hebräischen Bibel, die ab dem 3. vorchristlichen Jahrhundert entstanden ist. In dieser Übersetzung, der so genannten Septuaginta, wird das hebräische Wort „alma“ tatsächlich mit „parthenos“, dem griechischen Wort für „Jungfrau“, wiedergegeben.

Gott rettet durch Menschen

Ist es übertrieben, wenn man hier eine Form der spirituellen Enteignung der Juden durch die Christen sieht? Auch wenn diese Praxis eine lange Tradition hat – besser wird sie dadurch nicht. Die hebräische Bibel hat ihre eigene Würde, die ihr nicht genommen werden darf. Auch nicht durch Umdeutungen und problematische Übersetzungen.

Aber bei allem Streit um Worte: Worauf es allein ankommen sollte und was nach meiner Überzeugung das einzig Entscheidende ist, sagt schon der Name des Propheten aus: Jeschajahu, Gott rettet. Und der Name des Kindes: Immanuel, Gott ist mit uns. Das war zu Zeiten von König Ahas so. Das ist es auch, worauf Menschen unserer Tage hoffen dürfen.

Zugegeben: Das sagt sich leicht und ist in der Gefahr, zu einer leeren Floskel zu werden. Ja, Gott rettet – aber er tut es durch Menschen. Ob Gott rettet, liegt an uns Menschen – daran, ob wir aktiv werden, wenn andere Rettung, Unterstützung oder Solidarität notwendig haben.