Bibelessay zu Johannes 1,1-18

„Alle Jahre wieder“ hören wir am Christtag den Beginn des Johannesevangeliums. Wir hören von jenem großen Wort, das aller Welt den Anfang gegeben hat, schließlich selbst in die Welt kam und Mensch wurde.

Ich finde, es gibt kaum ein schöneres Bild für einen Neuanfang als die Geburt eines Kindes. Ein Kind, das mit seiner Unbefangenheit und Fröhlichkeit die Generationen verbindet, Eltern zu Großeltern macht und Rollen neu zuteilt. Ein Kind, das einen Sinnhorizont im Leben aufkommen lässt und auf wunderbare Weise die Erfahrung vermittelt: Das Leben geht weiter!

In Jesus kommt Gott selbst zu uns, damit wir ihn sehen, hören, verstehen und begreifen können. Wer Gott kennen lernen will, muss bei der Krippe anfangen. An Weihnachten zeigt uns Gott sein Gesicht. In der Krippe blickt Gott uns Menschen an. Hier lernen wir, zum Kleinen niederzuknien und uns zu bücken. Nur so können wir in einem Kind, das in einer menschenunwürdigen Umgebung zur Welt kommt, Gott erkennen. Dieser Blick in die Krippe macht uns zu Expertinnen und Experten der Menschlichkeit.

Hinweis

Benno Elbs ist Bischof der katholischen Diözese Feldkirch, Vorarlberg.

Gott unter den Menschen

Durch die Jahrhunderte hindurch wurde immer wieder die Frage geäußert: Warum lässt sich Gott in die engen Grenzen des menschlichen Lebens zwängen? Der große Gottsucher und Heilige der Nächstenliebe, Charles de Foucauld, antwortete auf diese Frage: „Um uns zu retten, ist Gott zu uns gekommen, hat sich unter uns gemischt, hat mit uns gelebt, in vertrautestem und engstem Kontakt.“

Gott wird Mensch, um unsere Sehnsucht nach Lösung und Erlösung zu erfüllen und einen neuen Frühling des Lebens herbeizuführen. Gott tut das, indem er sich „unter die Menschen mischt“, sagt Charles de Foucauld. An Weihnachten macht sich Gott nicht aus dem Staub, sondern er mischt sich unter die Menschen, er mischt sich ein in unser Leben – nicht mit der drohenden Geste eines kalten Weltenherrschers, sondern in der zerbrechlichen Gestalt und mit dem entwaffnenden Blick eines Kindes.

Programm des Lebens Jesu

Sich unter uns Menschen mischen – das ist das Programm des Lebens Jesu: Er mischt sich ein in unsere Ängste und Sorgen und sagt: „Hab Mut, fürchte dich nicht.“

Als Versöhner mischt Jesus sich ein in unsere offenen Konflikte und sagt: „Selig, die Frieden stiften.“

Als Heiland mischt Jesus sich ein in unsere offenen Wunden und sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben.“

Als Alpha und Omega, als Ausgangs- und Zielpunkt unseres Daseins und der ganzen Geschichte mischt er sich ein und sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“

Als Immanuel, als Gott-mit-Uns, mischt sich Jesus ein in unseren Lebensweg und sagt: Ich bin da, wo du bist, wie Martin Buber den alttestamentlichen Gottesnamen übersetzt.

Sendungshinweis

Lebenskunst, 25.12.2019, 7.55 Uhr, Ö1.

Gegenwärtig sein

Für das Wort Geschenk verwenden wir auch das Wort Präsent. Präsent heißt nicht nur Geschenk, sondern auch: gegenwärtig sein, da sein. Wenn ich jemandem ein Geschenk überreiche, sage ich auch: Du bist mir wichtig. Ich bin da für dich. Da-Sein für andere ist ein wunderbares Geschenk. Nicht umsonst wünschen sich viele Menschen zu Weihnachten einfach nur Zeit, um für die Familie, für die Partnerin/den Partner und die Kinder einfach da zu sein.

“Ich bin da” ist auch einer der Namen Gottes. Dieser Name bekommt an Weihnachten einen neuen Klang. Durch die Menschwerdung Jesu ist Gott wirklich da, wo ich bin. Gott kommt in die Welt, um sich auf die Seite der Menschen zu stellen. Seit dem Weihnachtsabend kann ich die Schattenseiten des Lebens aushalten, weil Gott in Jesus Mensch geworden ist, sich arm und klein gemacht hat, um mich mit dem Reichtum seiner wärmenden Liebe zu beschenken.

„Alle Jahre wieder“ hören wir, dass im Anfang das Wort war. Es ist ein Wort, das Liebe, Trost und Hoffnung schenkt; ein Wort, das Himmel und Erde, Gott und Menschen verbindet. Es ist ein Wort, das im Anfang über allem steht: Immanuel – Gott mit uns.