Wider die Ungerechtigkeit

„Zwei Kräfte herrschen über das Weltall: Licht und Schwere“ oder anders gesagt: Gnade und Schwerkraft. „Die Schwerkraft zieht hinab, der Flügel trägt empor.“

Zwischenruf 29.12.2019 zum Nachhören (bis 28.12.2020):

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Diese Gedanken stammen von der französisch-jüdischen Philosophin und Sozialrevolutionärin Simone Weil. Es gibt Kräfte, die den Menschen nach unten ziehen und solche, die ihn emporheben. Zu den hinunterziehenden Kräften gehören die Gier und das Streben nach Macht.

Diese Triebe sind wahrscheinlich so alt, wie die Menschheit. Sie brechen sich immer wieder Bahn in ganz unterschiedlichen politischen Systemen. Und oft verbinden sich die beiden Kräfte Macht und Gier zur Machtgier. Schon die alttestamentlichen Propheten haben diese Phänomene gekannt und vor den Folgen gewarnt: wo die einen alles gierig an sich raffen, gehen andere leer aus oder kommen unter die Räder, werden zu Sklaven und Leibeigenen gemacht.

Hinweis

Thomas Hennefeld ist Landessuperintendent der Evangelisch-reformierten Kirche in Österreich.

Der Reformator Ulrich Zwingli

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden diese Kräfte durch Demokratie und eine soziale Marktwirtschaft in der westlichen Welt in Zaum gehalten, oft allerdings auf Kosten von Menschen in der südlichen Hemisphäre. Die neuerliche Entfesselung des Marktes hat diesen Kräften wieder neue Nahrung gegeben. Rund um den Globus gibt es auch Politikerinnen und Politiker, die den eigenen Profit vor das Wohl der Menschen zu stellen scheinen.

Dieses Jahr widmete die Evangelisch-reformierte Kirche schwerpunktmäßig dem Zürcher Reformator Ulrich Zwingli. Seine Gedanken, die vor 500 Jahren Europa veränderten, wirken auch heute nach und werden mich auch in das nächste Jahr begleiten. Ulrich Zwingli hat gesehen, was Gier und Macht anrichten können.

Sozialrevolutionärer Geist

Als Humanist und Reformator von Kirche und Gesellschaft wollte er es nicht hinnehmen, wie Menschen entmenschlicht werden, wie Bürger in Unmündigkeit und Abhängigkeit von der damaligen Kirche mit ihren Missständen gehalten werden und wie Verlogenheit und Doppelmoral blühen. Zwingli hat mit seinem sozialrevolutionären Geist Impulse gesetzt, die wegweisend wurden für eine moderne demokratische und offene Gesellschaft. In Zeiten zunehmender Intoleranz gegenüber Minderheiten, autoritär agierender Staatslenker und einer neoliberalen Wirtschaft, die Mensch und Natur bedroht und den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet, sind Gedanken wie soziale Gerechtigkeit besonders wertvoll.

Sendungshinweis

Zwischenruf, 29.12.2019, 6.55 Uhr, Ö1.

Zwingli übte nicht nur Kritik an Missständen und an Unrecht sondern bemühte sich ganz konkret eine menschenfreundliche und gottgefällige Gesellschaft zu fördern, indem er zum Beispiel eine Armenausspeisung in Zürich ins Leben rief. Zum Glück gibt es nicht nur die Kräfte des Machtstrebens und der Gier sondern auch die Kraft der Gnade, die sich in Liebe und Hingabe anderen Menschen gegenüber zeigt. Junge Umweltbewegungen, wie Fridays for future, üben Druck auf die Politik aus.

Friedensinitiativen

Friedensinitiativen engagieren sich an Orten und in Regionen, wo sich verfeindete Gruppen gegenüberstehen. Unzählige Vereine und Einzelpersonen setzen sich für das Wohl der Mitmenschen und oft auch für sozial Schwache oder für Flüchtlinge ein.

Ich nehme mir für das kommende Jahr vor, meinen Blick und mein Herz auf die Initiativen zu richten, die dazu beitragen, unsere Welt gerechter und friedlicher zu machen; die dafür arbeiten, dass Menschen auf diesem Planeten eine Zukunft haben. Ich möchte mich ermutigen lassen von dem vielen Guten, das in der Welt geschieht, damit ich Flügel bekomme anstatt mich hinunterziehen zu lassen.

Ich wünsche Ihnen für das kommende Jahr, dass Sie trotz der Schwerkraft von der Gnade geleitet werden, mehr Licht als Schwere erleben. Möge das kommende Jahr für Sie ein segensreiches, hoffnungsfrohes und friedvolles werden.