Tucholsky, der Satiriker

„Was darf die Satire?“ Diese Frage stellte Kurt Tucholsky den Lesern des Berliner Tageblatts im Jänner 1919. Seine lapidare Antwort: „Alles“.

Gedanken für den Tag 8.1.2020 zum Nachhören (bis 7.1.2021):

Tucholskys Frage und die Antwort darauf sind aus ihrer Zeit heraus zu verstehen. Mit dem schrecklichen Krieg und dessen Ende war Europa im Aufruhr. Alte Ordnungen waren zerbrochen, sei es aus eigener Schwäche, sei es durch äußere Einflüsse. Eine Neuordnung des Kontinents war – vor allem bei den Unterlegenen des Krieges – noch nicht etabliert, ja nicht einmal abzusehen. In Deutschland wie in Österreich war die Monarchie am Ende, gewaltsame Auseinandersetzungen waren alltäglich.

Franz Josef Weißenböck
ist katholischer Theologe und Autor

Satire ist blutreinigend

Mitglieder so genannter Freikorps, also Rechtsextreme, ermordeten am 15. Jänner 1919 Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, führende Figuren des marxistischen Spartakus-Bundes. Gegen diese Gewalt kämpfte Tucholsky mit der Macht der Sprache, mit der Schärfe der Satire. Diese Macht kann verletzen, töten kann sie nicht.

In der „Weltbühne“ vom 23. Jänner 1919 widmete Tucholsky Luxemburg und Liebknecht ein Gedicht, in dem diese Zeilen zu lesen sind:

Wie man sich selber die Treue hält,
wie man gegen eine feindliche Welt
mit reinem Schilde streiten kann,
das vergisst den beiden kein ehrlicher Mann.
Wir sind, weiß Gott, keine Spartakiden.
Ehre zwei Kämpfern!
Sie ruhen in Frieden!

Luxemburg und Liebknecht waren Opfer rechtsextremer Gewalt, und diese Gewalt fand vielfach Zustimmung. „Aber“, schreibt Tucholsky im Tageblatt, „wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel“. Boshaft dürfe der Witz der Satire sein, aber ehrlich soll er sein, befindet Tucholsky. Und er meint: „Die echte Satire ist blutreinigend, und wer gesundes Blut hat, der hat auch einen reinen Teint“.

Man darf vermuten, dass diese Erkenntnis auch für unsere Tage gilt.

Musik:

French Charleston Orchestra: „Whispering“ von Vincent Rose, John Schonberger und Richard Coburn
Label: Laserlight 15339