Bibelessay zu Jesaja 61,1-3

Lebensmut in schweren Zeiten, Freiheit, Befreiung von ihren Schulden und Gerechtigkeit spricht der Prophet seinem krisengeschüttelten Volk zu.

Das historische Volk Israel konnte unter dem Perserkönig Kyrios heimkehren aus der babylonischen Gefangenschaft, hatte Diktatur und Unrecht überwunden, doch sie hatten sich das Leben rosiger vorgestellt, den neuen Tempel strahlender, das Überleben einfacher und keine Schulden, welche die Generationen belasten.

Michael Chalupka
ist evangelisch-lutherischer Bischof in Österreich

Befreiung von Unrecht

Der eine Gott gegenüber den vielen Göttern war dem Propheten zum wichtigsten Anliegen geworden, jetzt aber proklamiert er durch seine Frohe Botschaft, dass der Mensch zum wichtigsten Anliegen Gottes wird: der gefährdete Mensch, der gebrochene, unfreie und verlorene Mensch, der trotz aller Bedrückung zum Leben in Fülle und zur Freiheit bestimmt ist.

Jesus nimmt genau diese Worte in einer Rede zu Beginn seines Wirkens wieder auf und fasst damit sein Programm zusammen. Denn mit diesen Worten kann man überall die Befreiung von Diktatur und Unrecht ankündigen. Was zu den damals schon historischen Zeiten der persischen Herrschaft galt, gilt auch angesichts der Macht der römischen Kaiser zu Zeiten des Jesus von Nazareth.

Vier Verheißungen

Die Worte des Jesaja (Propheten) enthalten vier Verheißungen, vier Prinzipen, vier Grundsätze. Die erste frohe Botschaft ist: Menschen sollen Lebensmut und Selbstverstrauen zurückerhalten. Den Elenden und Zerbrochenen, denen, die leiden, denen etwas angetan wurde, die zu Opfern von Gewalt und Missachtung geworden sind, gilt Gottes Frohe Botschaft. Er steht auf ihrer Seite. Gott ist keiner, der über den Menschen schwebt und den unsere kleinen irdischen Probleme nichts angingen. Der Mensch wird zum wichtigsten Anliegen Gottes. Leiden ist nie gottgewollt. Was zerbrochen wurde, soll verbunden werden, ja sogar die gebrochenen Herzen sollen wieder heil werden.

Lebenskunst
Sonntag, 5.1.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Die zweite frohe Botschaft ist: Menschen werden aus Gefangenschaft befreit, ihre Fesseln werden gelöst. Das große Geschenk Gottes an die Menschen ist die Freiheit. Freiheit kann aber auch missbraucht werden, zu Lasten der anderen. Gefangenschaft muss nicht immer hinter Gittern stattfinden. Unfreiheit kann auch durch Abhängigkeit entstehen.

Befreiung von Schulden

Die dritte frohe Botschaft ist immer aktuell. Sie verheißt Befreiung von Schulden. Das verheißene „gnädige Jahr des Herrn“ ist das Erlassjahr, in dem unter den Israelitinnen und Israeliten Gleichheit wiederhergestellt und Schulden erlassen wurden, auch wenn das ein Postulat, ja eine Utopie war - aber diese Utopie hat gewirkt.

Die vierte frohe Botschaft des Propheten Jesaja spricht von Vergeltung. Jesus lässt in seiner Antrittsrede diese Verheißung aus. Fest steht für mich allerdings: Bei der Überwindung von Gewalt, Unfreiheit und Schuldknechtschaft kann auf Gerechtigkeit im Umgang mit den begangenen Verbrechen nicht verzichtet werden. Ohne Aufarbeitung des Unrechts schmerzen manche Wunden Generationen lang und hindern Menschen daran, Vertrauen in die neue Freiheit zu entwickeln.

Spuren Gottes in der Welt

Mut und Vertrauen, Freiheit, Erlösung von Schuld und Gerechtigkeit, das sind die zeitlosen Grundprinzipien der Frohen Botschaft, wie sie der Prophet Jesaja seinem Volk und Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zuspricht. Alle vier sind alles andere als selbstverständlich. Sie wollen immer wieder erbeten, errungen, erkämpft und verteidigt werden. Mut und Vertrauen können schnell schwinden, Freiheit ist davon bedroht, eingeschränkt zu werden und Schuld und die Schulden türmen sich, schneller als man schauen kann.

Doch gerade deshalb sind für mich Vertrauen, Freiheit, Erlösung von Schuld und Gerechtigkeit, die Spuren Gottes in der Welt. Dort wo sie spürbar sind, dort wo Menschen auftreten, die Vertrauen schenken, Freiheit leben, Schulden erlassen, Schuld vergeben und sich für Gerechtigkeit einsetzen, dort weiß ich Gott mitten unter ihnen. Schulter an Schulter, Hand in Hand.