Himmlisches und Irdisches
Gedanken für den Tag 31.1.2020 zum Nachhören (bis 30.1.2021):
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Zugleich schlüpfte die Kunst in die Rolle der Religion. Es ist kein Zufall, dass wir in Zusammenhang mit Konzert- oder Opernhäusern, aber auch von Theatern und Museen, von „Kunsttempeln“ sprechen. Das Wort „Andacht“ wird plötzlich im außerreligiösen Kontext verwendet: Musik wird andächtig gehört, Bilder andächtig betrachtet. Gerade die Musik vermag Emotionen hervorzurufen, die religiösen Gefühlen gleichen. Der Schriftsteller Alfred Kerr bezeichnete zum Beispiel das Allegretto von Beethovens Siebter Sinfonie als „Choral der Glaubenslosen“.
Musik als Religion
Beethoven war zu Lebzeiten ein Hohepriester der neuen Religion der Kunst. Er verlangte von seinen Zuhörern Heiligen Ernst. „Für solche Schweine spiele ich nicht“: Mit diesen Worten brach er einmal ein Konzert ab, weil Teile des Publikums währenddessen miteinander plauderten.
Michael Krassnitzer
ist Journalist
Nach seinem Tod wurde Beethoven in den Status einer Gottheit der Religion Kunst erhoben. Eine Büste oder ein Porträt des Komponisten gehörten zu einem bürgerlichen Haushalt wie der Herrgottswinkel zur Bauernstube.
Es ist interessant, dass es im Menschen offenbar ein Bedürfnis nach Glauben gibt. Wenn herkömmliche Religionen an Legitimität verlieren, werden sie durch Glaubenssysteme ersetzt, in denen nicht mehr Götter, sondern Menschen und deren Hervorbringungen im Mittelpunkt stehen.
Ich denke, Musik ist gar keine schlechte Religion. Auch dort geht es zwar nicht ohne Auseinandersetzungen, man denke nur an die Diskussionen: „Brahms oder Bruckner“, „Beatles oder Rolling Stones“. Aber das hält sich in Grenzen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Religionen bringt Musik die Menschen nicht regelmäßig dazu, sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen.
Musik:
Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Carlos Kleiber: „Allegretto - 2. Satz“ aus: Symphonie Nr. 7 in A-Dur op. 92 von Ludwig van Beethoven
Label: DG 4158622