Bibelessay zu Offenbarung 1,9-18

Das letzte Buch der christlichen Bibel ist eine Fundgrube für Weltuntergangspropheten, Fundamentalisten und Sektierer aller Art. In grellen Bildern wird da beschrieben, wie die entfesselten dämonischen Mächte Seuchen, Kriege und andere Katastrophen über die Erde bringen, wie der Weltenherrscher Gericht hält, wie die einen in den Himmel kommen und die anderen im Feuersee verenden.

Da werden Begriffe verwendet, die in die Geschichte immer wieder Eingang gefunden haben, wie das Tausendjährige Reich oder das himmlische Jerusalem. Schwarze Pädagogik und Drohbotschaft? In all dem kann man sich suhlen. Das Buch ist wie ein Steinbruch, aus dem alle herausbrechen können, was in ihre Weltanschauung passt. So manche Verschwörungstheoretiker wittern überall dort, wo ihnen die Zahl 666 begegnet, den Teufel. Apokalyptiker aller Art sehen in gegenwärtigen Naturkatastrophen und Pandemien Vorboten der Endzeit.

Thomas Hennefeld
ist Landessuperintendent der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Träume und Alpträume

Diejenigen, die moralisierend und mit erhobenem Zeigefinger sich selbst auf der Seite der Erwählten sehen und die Andersgläubigen mit den Schreckensbildern verwünschen, leben oft in ganz anderen Verhältnissen, abgesichert und wohlhabend, als der Verfasser der Offenbarung. Der Mann, der hier Johannes genannt wird, wurde verbannt auf die damals wohl unwirtliche Insel Patmos in der südlichen Ägäis. Er war in schwerer Bedrängnis. Er wurde verfolgt, wie viele andere Christen auch.

In dieser dramatischen Lage entwickelt der Verfasser seine Bilder und Gedanken. Der Text ist gleichzeitig ein starkes Glaubenszeugnis in Zeiten der Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit und eben gerade nicht als Drohbotschaft gedacht. Johannes erhält den Befehl, alles aufzuschreiben, was er in einer ekstatischen Schau von Gott vermittelt bekommt, eine Mischung aus Träumen und Albträumen. Gerade in diesem Abschnitt findet sich eine Schlüsselszene, nämlich die mit dem Schlüssel, der ja dazu dient Geheimnisvolles und Verborgenes zu enthüllen, quasi wie eine Tür zu öffnen und die Botschaft dahinter zu finden. Bei all den für uns heute teilweise schwer zugänglichen Bildern tröstet der erhöhte Christus mit Worten, die Gott an so vielen Stellen in der Bibel zugesagt hat: Fürchte dich nicht und Er besitzt den Schlüssel. Alle dämonischen Mächte können der kleinen verfolgten Kirche nichts mehr anhaben. Schon diese wenigen Verse sind voll von Anspielungen und Querverweisen auf andere biblische Texte, auf jüdische und auch außerbiblische Traditionen und Gedankenwelten, die Posaune, die Leuchter oder der Menschensohn.

Jüngstes Gericht

Kein Zufall, dass dieses Buch in der Reformationszeit besondere Bedeutung gewonnen hatte, in einer Zeit, in der viele Menschen das Jüngste Gericht erwarteten.

Lebenskunst
Sonntag, 2.2.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Heinrich Bullinger, der Nachfolger des Zürcher Reformators Ulrich Zwingli, verfasste 100 Predigten über das Buch der Apokalypse, die in kurzer Zeit zum Bestseller wurden. Er widmete die Predigtsammlung allen Flüchtlingen, die in der Eidgenossenschaft wohnten und aus Frankreich und England, Italien und anderen Königreichen um ihres Glauben willen vertrieben wurden. Und er interpretiert, in gewissem Maße zeitlos, die sieben Sendschreiben des Johannes an die Gemeinden in Kleinasien als Beispiele herrlicher und vortrefflicher, aber auch mittelmäßiger, gemischter, heuchlerischer und ganz lasterhafter Ortskirchen. Diese Kirchen unterweist nach Bullinger Christus, indem er straft, lobt, ermahnt, stärkt und tröstet.

Auch heute leben viele Menschen in apokalyptisch anmutenden Verhältnissen, bedroht oder sogar mitten in Krieg, unter Naturkatastrophen leidend, die teilweise vom Menschen verursacht werden und einer Hölle, die Menschen einander auf Erden bereiten. Das Buch der Offenbarung möchte aber nicht die Ängste verstärken sondern all jene trösten, die ausharren im Glauben an die Wiederkunft Christi und im Glauben an eine Welt, in der Leid, Tränen und Schmerz überwunden sein werden.