Der Valentinstag und die Nummer 2

Als Pfarrerin der evangelischen Kirche habe ich das Vorrecht, selbst seit beinahe zehn Jahren verheiratet zu sein und andere im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit auf ihrem Weg in die Ehe begleiten zu können.

Zwischenruf 16.2.2020 zum Nachhören (bis 15.2.2021):

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Ein spannender Punkt bei der Ehevorbereitung ist für mich immer, wenn ich das verliebte Paar mit einem - zugegeben etwas provokanten - Beziehungsratschlag konfrontiere. Der Ratschlag lautet: „Mach den anderen zu deiner absoluten Nummer… 2!“

Alexandra Battenberg
ist evangelisch-lutherische Pfarrerin in Schwechat

Enttäuschung und Überforderung

Im ersten Augenblick ist die Empörung über diesen Ratschlag oft hoch, besonders bei frisch Verliebten. „Aber das stimmt doch nicht!“, heißt es dann. „Der andere sollte doch die Nummer 1 sein?!“ Im gemeinsamen Nachdenken wird dann aber meist zweierlei klar: Erstens ist es natürlich gut, wenn die Partnerin oder der Partner eine ganz hohe Priorität im eigenen Leben bekommt und wichtiger ist als z.B. die Karriere oder auch die gemeinsamen Kinder. Sehr schnell erlischt sonst die Flamme – wie ein Feuer, das keine Nahrung mehr bekommt.

Aber es ist zweitens auch heilsam, wenn der Partner oder die Partnerin eben nicht die „absolute Nummer 1“ wird: „Du musst immer für mich da sein und mich verstehen!“ „Du bist der Sinn meines Lebens!“ „Mein Glück hängt von dir ab.“

All diese Sätze sind Ausdruck einer Einstellung, die zu einem doppelten Frust führt: Bei dem, der sie spricht oder denkt, führt sie zur Enttäuschung, weil der andere letztlich „auch nur ein Mensch“ ist. Und dieser Mensch vergisst eben ab und zu, die berühmte Zahnpastatube zu schließen und hat abseits von Instagram und ganz ohne Filter auch gewisse Ecken und Kanten. Beim anderen führt diese Einstellung umgekehrt zu Druck und Überforderung – eben weil er oder sie spürt, dass dies ein Mensch selbst beim besten Willen nicht leisten kann.

Größte Liebesgeschichte

Der Pulitzer-Preisträger Ernest Becker fasste das Problem der übersteigerten Erwartung so zusammen: „(Der Liebespartner) wird zum göttlichen Ideal, in dem sich unser Leben erfüllen soll. Alle geistigen und moralischen Bedürfnisse konzentrieren sich auf ein einziges Individuum. (…) Kurz: Das Liebesobjekt ist Gott. (…) Was wollen wir, wenn wir den Liebespartner zum Gott machen? Wir wollen erlöst werden – nicht mehr und nicht weniger.“ Um diesen Druck aus den Beziehungen zu nehmen, plädieren Fachleute daher immer wieder für „mehr Realismus in der Liebe“ – so etwa die Conclusio von Arnold Retzer, seines Zeichens Psychologe, Arzt und einer der führenden Paartherapeuten Deutschlands.

Zwischenruf
Sonntag, 16.2.2020, 6.55 Uhr, Ö1

Aus christlicher Perspektive möchte ich gerne noch einen Schritt weitergehen und darauf hinweisen, dass Feiertage wie der Valentinstag vergangene Woche auch eine Einladung sein können: Eine Einladung nämlich, sich auf die Suche zu machen nach dem EINEN, den es nicht überfordert, die Nummer 1 in unserem Leben zu sein, und von dem uns die Bibel die vielleicht größte Liebesgeschichte aller Zeiten erzählt: Die Geschichte von dem EINEN, der nicht nur sagt: „Ich möchte dir die Sterne vom Himmel holen!“ – sondern der selbst den Himmel verlässt und sich ganz klein macht, um uns nahe zu kommen.

Kein Mittel gegen Einsamkeit

Die Geschichte von dem EINEN, der nicht nur beteuert: „Ich könnte Berge versetzen für dich!“ – sondern der den Berg von Golgatha bezwingt, damit nichts Dunkles uns mehr von ihm trennen kann. Die Geschichte von dem EINEN, der nicht nur verspricht: „Ich würde sterben für dich!“ – sondern dessen Liebe so groß ist, dass sie sogar den Tod überwindet und in Ewigkeit nicht vergehen wird. Die Geschichte von dem EINEN, dem Mann am Kreuz, dessen Arme immer offen sind für alle, die umkehren und sich IHM zuwenden.

Wenn Menschen sich einlassen auf die Liebe von diesem EINEN, dann passiert meiner Erfahrung nach etwas ganz Wunderbares: Sich von IHM geliebt zu wissen befreit dazu, andere Menschen mit einer neuen Tiefe zu lieben – mit allen Unvollkommenheiten. Wie Max Frisch es einmal in Bezug auf die Ehe formuliert hat: „Ein Wunderbares ist es um die Ehe. Sie ist möglich, sobald man nichts Unmögliches von ihr fordert, sobald man über den Wahn hinauswächst, man könne sich verstehen, müsse sich verstehen; sobald man aufhört, die Ehe anzusehen als ein Mittel wider die Einsamkeit.“

„Mach deinen Partner bzw. deine Partnerin zu deiner Nummer 2!“ Nicht zur Nummer 1, aber auch nicht zur Nummer 3 oder 7 oder 25. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen fröhlichen, befreiten Sonntag mit Ihren Lieben! Und meiner eigenen „Nummer 2“ möchte ich sagen: Danke, dass ich auch deine „Nummer 2“ sein darf!