Bibelessay zu 1. Mose (Genesis) 3,1-19

Warum so ein Theater wegen eines einzigen Baums? Und warum ist es eine Sünde, klug werden zu wollen? Ich habe mit dieser Geschichte lange nichts anfangen können. Ich hatte sie wörtlich genommen, als wäre das alles vor langer Zeit wirklich so passiert.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich ein anderes Bild: Der Autor dieser Erzählung, die als „der Sündenfall“ prominent geworden ist, verharrt nicht in grauer Vorzeit, sondern beschreibt, wie es sich hier und jetzt verhält: Schuld und Leid haben das menschliche Dasein im Griff. Eingekleidet in Bilder mit mythischen Zügen wie einer sprechenden Schlange, wird ein leidvolles Leben geschildert. Der Erzähler schreibt keine historische Abhandlung, sondern stellt einen Mann und eine Frau auf die Bühne des Lebens, die das tun, was Menschen immer tun, mit allseits bekannten Folgen.

Susanne Heine
ist evangelische Theologin und Religionspsychologin

Adam, Eva, die Schlange und viele Ausreden

Der Baum der Erkenntnis steht für eine unbestechliche Weisheit, die Gott zugeschrieben wird, jedoch den Menschen der Erde nicht zukommt. Die Menschen aber sind übergriffig und wollen haben, was ihnen nicht gehört. Sie greifen nach Gottes Weisheit, und tatsächlich werden sie klug. Jetzt wissen sie, dass zwischen Gut und Böse ein Unterschied ist; zwischen dem, was Leben schützt und dem, was Leben zerstört. Aber wie die Erfahrung zeigt: Diesen Unterschied zu kennen, bedeutet noch lange nicht zu wissen, worin in einem bestimmten Fall das Gute besteht. Wenn überhaupt danach gefragt wird.

Auch Wissen lässt sich missbrauchen, und mich wundert nicht, dass Ethik-Kommissionen notwendig sind, denn: Können Forscher immer abschätzen, wohin ihre Klugheit führt? Werden die Ergebnisse immer zum Wohl der Menschheit eingesetzt, wenn ich an die Atombombe denke? Zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können, schützt nicht davor, dem Reiz des Bösen zu erliegen und das Schlechte zu wählen. Der Erzähler der Geschichte will sagen: Die unbestechliche Weisheit Gottes wird in menschlichen Köpfen zwielichtig.

Schuld vertuschen

Diese Erzählung sagt daher gerade nicht, dass alles gut ist, sondern dass vieles leider gar nicht gut ist: Kinder kriegen macht ebenso Mühe wie arbeiten. Eva, die Frau, steht als große Verführerin da, aber Adam hat auch nicht gezögert zuzugreifen. Und der Mann, heißt es, herrscht über die Frau. Damit hat die christliche Tradition die Unterwerfung der Frauen unter die Männer gerechtfertigt. Aber solche Lesarten vergessen, dass die Erzählung nicht sagen will, dass das so sein soll, sondern dass das eben gar nicht gut ist.

Lebenskunst
Sonntag, 1.3.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Nicht gut, aber realistisch ist auch, dass Menschen gerne ihre Schuld vertuschen: Adam schiebt der Eva die Schuld zu, und Eva redet sich auf die Schlange aus. Den Sündenfall sehe ich darin, dass Menschen ihre Klugheit für der Weisheit letzten Schluss halten und damit ihre menschlichen Grenzen verkennen. Dass sie die daraus folgende Schuld nicht eingestehen und stattdessen andere zum Sündenbock machen. Auf dieser Linie liegt die Ausrede: Ich kann nichts dafür, Adam und Eva sind schuld.

Davor war der Garten Eden, danach wird eine neue Erde sein, kündigt der Prophet Jesaja an (65,17) – dazwischen liegen Schuld und Leid. Was unsere Geschichte nicht erzählt, ist die Chance: Wer die eigene Schuld erkennt, kann der Vergebung Gottes gewiss sein und trotz aller Schatten sich am Leben erfreuen. Den Dank dafür an Gott in Psalm 30 kann ich gut nachvollziehen: „Du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet.“